MiGAZIN: Studie:Traumatisierte Flüchtlinge müssen behandelt werden
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Studie: Traumatisierte Flüchtlinge müssen behandelt werden
Unter den Flüchtlingen in Deutschland gibt es einen großen Anteil von
Menschen, die durch erlittene Gewalt traumatisiert sind und behandelt
werden müssen. Eine Umfrage des Forschungsinstituts der AOK liefert eine
Vorstellung vom Ausmaß der Aufgabe.
Von Redaktion – 31. Oktober 2018
Drei Viertel der in Deutschland lebenden Flüchtlinge haben traumatische
Erfahrungen gemacht, die sich bei vielen auf ihre Gesundheit auswirken.
Vor allem die psychischen Leiden müssten behandelt werden, heißt es in
einer am Dienstag in Berlin veröffentlichten Erhebung des
Wissenschaftlichen Instituts der AOK, für die gut 2.000 Syrer, Afghanen
und Iraker befragt wurden. Etwa jeder zweite Flüchtling in Deutschland
kommt aus einem der drei Länder. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl
Lauterbach sprach von einer schwierigen Aufgabe, die man bisher
unterschätzt und vernachlässigt habe.
Die traumatischen Erlebnisse verdoppeln der Studie zufolge die
gesundheitlichen Probleme im Vergleich zu den Flüchtlingen, die keine
Gewalt erleiden mussten. Fast jeder zweite befragte Flüchtling (48
Prozent) leidet unter psychischen Problemen. Diese zeigten sich als
Niedergeschlagenheit und Antriebsschwäche oder als erhöhte Nervosität
und innere Unruhe. Mehr als ein Fünftel zeigt Anzeichen einer
Depression. Etwa jeder Dritte leide unter Schlafstörungen oder
Rückenschmerzen.
Bei fast 70 Prozent der Befragten handelt es sich den Angaben zufolge um Männer, die meisten sind noch jung. Hochgerechnet auf die in Deutschland lebenden Flüchtlinge haben 600.000 Menschen verschiedenste Formen von Gewalt erlebt, viele mehrfach. An erster Stelle stehen der Befragung zufolge Kriegserlebnisse (60 Prozent), 40 Prozent waren Angriffen durch das Militär ausgesetzt. 35 Prozent mussten erleben, dass Angehörige verschleppt wurden oder verschwanden. Fast 20 Prozent wurden gefoltert, sechs Prozent erlitten sexuelle Gewalt.
Flüchtlinge belasten Gesundheitssystem „wenig“
Der SPD-Vizefraktionsvorsitzende Lauterbach sagte dem in Berlin
erscheinenden „Tagesspiegel“, die Betroffenen seien „ein Leben lang
chronisch krank, mit hohen Kosten und einem nicht unerheblichen Risiko
für die Gesellschaft“. Es mache aber weder ökonomisch noch menschlich
Sinn, auf fundierte Behandlungen zu verzichten. „Wer hier den Kopf in
den Sand steckt, braucht sich nicht zu wundern über Zwischenfälle, die
keiner von uns wünscht.“
Lauterbach betonte zugleich, dass die Flüchtlinge das Gesundheitssystem
Deutschlands wenig belasteten. Sie seien, von den Traumatisierungen
abgesehen, kaum chronisch krank und noch sehr jung. Die Beiträge, die
der Staat für Flüchtlinge zahle, seien momentan deutlich höher als die
durch sie verursachten Gesundheitsausgaben. Auch deshalb sei es nicht
begründbar, wenn die Kassen nun forderten, die Traumabehandlung von
Flüchtlingen aus Steuern zu finanzieren. Über die Kostenübernahme für
Dolmetscher könne man allerdings reden, so Lauterbach.
Behandlungsbedürftig
Bei der Befragung der Flüchtlinge handelt es sich um die erste, für
Gesamtdeutschland repräsentative Studie dieser Art. Den Autoren zufolge
sind rund 150.000 Menschen aufgrund der erlittenen Gewalt
behandlungsbedürftig, auch in Hinblick auf die Integrationschancen der
Betroffenen. Über die Therapie sollten Ärzte entscheiden, schreiben die
Forscher. Bisher entscheiden darüber vorrangig Sachbearbeiter in den
Sozialbehörden. Flüchtlingen steht in der ersten Zeit in aller Regel nur
eine Minimalversorgung zu.
Nur zwei Dritten der Befragten hatten laut Studie in den vergangenen
sechs Monaten einen Arzt aufgesucht, knapp sieben Prozent einen
Facharzt. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, die Suche nach einem
Arzt und die Verständigung seien sehr schwierig. In den psychosozialen
Zentren, die sich um traumatisierte Flüchtling kümmern, werden nach
Angaben der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft jährlich rund 17.500
Geflüchtete betreut. (epd/mig)