Monat: September 2024

„Sicherheitspaket“ zurückhaltend bewertet

Aus: Heute im Bundestag Nr. 617, 23.9.2024, Inneres und Heimat/Anhörung, Sachverständigenanhörung zum Sicherheitspaket.

Berlin: (hib/FLA) Die als „Sicherheitspaket“ bezeichneten Gesetzesvorstöße nach den Anschlägen in Mannheim und Solingen sind von Sachverständigen im Ausschuss für Inneres und Heimat überwiegend zurückhaltend, teils auch ablehnend bewertet worden. Es ging bei der Experten-Anhörung um einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP „zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ (20/12805). Angesprochen wurde zudem ein weiterer Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ (20/12806). Überdies stand der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Entwurf eines „Zustrombegrenzungsgesetzes“ (20/12804) auf der Tagesordnung.

Finn-Christopher Brüning, Deutscher Städte- und Gemeindebund, hielt es für fraglich, ob die Inhalte des Sicherheitspakets tatsächlich die objektive Sicherheit in Deutschland effektiv erhöhten. Vielmehr bedürfe es relevanter Reformen bei den Zuständigkeiten und Kompetenzen aller Beteiligten. Insbesondere müssten die Polizei, die Ausländerbehörden sowie die mit den Abschiebungen befassten Stellen der Länder personell besser ausgestattet werden. Die Grenzkontrollen sollten für längere Zeit fortgesetzt werden, weil es dort deutliche Erfolge gebe.

Jörg-Henning Gerlemann, Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, machte grundsätzliche Bedenken gegen die Systematik und gegen die Vollzugsfähigkeit der Regelungen im Gesetzentwurf geltend. Er hob vor allem auf die geplanten neuen Waffenverbotszonen ab. Danach solle es ermöglicht werden, größere Teile von Deutschland generell als Verbotsgebiete auszuweisen, also etwa alle Volksfeste oder den gesamten öffentlichen Nahverkehr. Zu befürchten sei, dass schon auf Grund des Umfangs umfassende polizeiliche Kontrollen nicht möglich seien.

Niels Heinrich, Fachliche Leitstelle Nationales Waffenregister (NWR), Hamburg, meinte, bezogen auf das Waffenrecht zeuge der Gesetzentwurf von Praxisferne, beinhalte fachliche Fehler und mache den derzeit ohnehin schon bestehenden Wust an unnötiger Bürokratie noch größer. Keine der vorgesehenen waffenrechtlichen Maßnahmen hätte nach Überzeugung des Kriminaloberrats die Taten von Mannheim und Solingen verhindert.

Dennis-Kenji Kipker, Universität Bremen, meinte, die Vorschläge überträfen alles, was es bisher im Bereich der digitalen Überwachung gegeben habe. Er sprach von einem „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“. Bei der geplanten Vorfeld-Erfassung von persönlichen Daten solle der Ausnahmefall unbegründet zum Regelfall gemacht werden. Dies gewinne immer mehr an Gefährlichkeit, je mehr Daten im Internet gespeichert seien. Damit käme man dem viel befürchteten „gläsernen Bürger“ näher als jemals zuvor.

Sarah Lincoln, Gesellschaft für Freiheitsrechte, sprach von zahlreichen übereilten Maßnahmen, die das Land nicht sicherer machen würden. Die Regierung lasse die nötige Besonnenheit und das rechtsstaatliche Augenmaß vermissen. Die Verschärfungen ließen eine gewissenhafte Abwägung von Grundrechten vermissen und berücksichtigten an vielen Stellen nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie höherrangiges Recht. Mehr Sicherheit erreiche man nicht durch populistische Maßnahmen, sondern durch Bildung, Prävention und psychosoziale Unterstützung.

Martina Link, Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes, betonte die Bedeutung der Regelungen zum biometrischen Internet-Abgleich. Die Identifizierung von Attentätern oder Gefährdern, die noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten sind, werde dadurch erheblich erleichtert werden. Die Schaffung einer Rechtsgrundlage für automatisierte Datenanalyse sei für eine zeitgemäße Polizeiarbeit und speziell für das BKA in seiner Funktion als Zentralstelle von wesentlicher Bedeutung.

Klaus Ritgen, Deutscher Landkreistag, erkannte an, dass die Gesetzentwürfe einer besseren Steuerung und auch der dringend erforderlichen Begrenzung der nach wie vor zu hohen irregulären Migration dienten. Die vorgeschlagenen Regelungen gingen alle in die richtige Richtung, könnten aber nur erste Schritte sein. Die Aufnahme- und Integrationskapazitäten in den Kommunen seien erschöpft.

Stephan Schindler, Universität Kassel, verwies darauf, dass die vorgesehenen Vorschriften zum nachträglichen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet zu erheblichen Grundrechtseingriffen führen, da zahlreiche Personen – potenziell alle Internetnutzer – betroffen seien, die hierfür mehrheitlich keinen Anlass gegeben hätten. Es seien spezifische Regelungen notwendig, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrten. Da solche Abgleiche fehleranfällig seien, solle eine Überprüfung durch eine qualifizierte Person vorgeschrieben werden.

Andre Schuster, Deutscher Städtetag, erklärte, insgesamt unterstütze der Städtetag die Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit. Jedoch müsse die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und fairen Verfahren im Umgang mit Asylsuchenden und Schutzberechtigten betont werden. Er ging unter anderem auf den Familiennachzug zu subsidiären geschützten Flüchtlingen ein. Er müsse mit zwei Aspekten in Einklang gebracht werden: Wahrung der Integrationsfähigkeit der Städte und Unterstützung der Integrationsanstrengungen der Geflüchteten mit Bleibeaussichten.

Christoph Sorge, Universität des Saarlandes, sagte, die technische Konzeption zur Verarbeitung personenbezogener Daten, besonders die Biometrie, falle in den Vorschlägen so unkonkret aus, dass sie kaum im Detail zu überprüfen sei. Dabei seien sehr weitreichende Eingriffe vorgesehen, ohne dass sie irgendwie eingehegt würden und ohne dass die Bürger wüssten, worauf sie sich einstellen müssten. Es gehe ja nicht nur um Daten von Verdächtigen oder Ausländern, die gerade einen Asylantrag gestellt haben, sondern im Prinzip unbegrenzt um alles, was man im Internet finden könne. Er bezweifelte die Vereinbarkeit mit höherrangigem europäischem Recht.

Louisa Specht-Riemenschneider, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, meinte, natürlich müsse der Gesetzgeber im Blick haben, dass die Polizeibehörden sinnvolle Werkzeuge erhielten. Es müssten aber ebenso die Grundrechte aller betroffenen Personen gewahrt bleiben. Sie mahnte: Ermächtigungsgründe für grundrechtsintensive Maßnahmen dürften nicht übereilt geschaffen werden. So wiesen alle vorgesehenen Eingriffsnormen zur Gesichtserkennung zu unscharfe Tatbestandsmerkmale auf und ermöglichten erhebliche Eingriffe in die Rechte unbeteiligter Personen.

Heiko Teggatz, Bundesvorsitzender der DPolG – Bundespolizeigewerkschaft, legte dar, derzeit befänden sich in Deutschland rund 300.000 ausreisepflichtige Personen, von denen 50.000 sofort ausreisepflichtig seien und teilweise sogar mit Haftbefehlen ausgeschrieben seien. Sie würden von der Bundespolizei regelmäßig insbesondere an Bahnhöfen festgestellt. Eine tatsächliche Durchsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch die Bundespolizei komme derzeit regelmäßig nicht in Betracht, da ihr die Zuständigkeit dafür fehle.

Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, machte klar, der Vorschlag einer Wiedereinführung der Begrenzung der Migration als Zweck des Aufenthaltsgesetzes entziehe sich einer juristischen Bewertung und müsse alleine rechtspolitisch bewertet werden. Eine stärkere Einbindung der Bundespolizei in die Abschiebeorganisation oder den Abschiebevollzug könne zwar zweckmäßig sein, müsse aber die Kompetenzzuweisungen des Grundgesetzes beachten.

Deutschland: Nach Wahlen in Sachsen und Thüringen müssen Menschenrechte auf die Agenda

BERLIN, 02.09.2024 – Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen waren von Forderungen nach Einschränkungen des Asylrechts, rassistischen Parolen und queerfeindlichen Attacken geprägt. In der Regierungsbildung müssen sich Parteien jetzt klar zu einer menschenrechtsbasierten Landespolitik bekennen. Zivilgesellschaftliche Initiativen brauchen verstärkt Schutz vor politischen Angriffen.

Dr. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt:

„In Thüringen und Sachsen haben sich die Parteien im Wahlkampf von menschenfeindlichen Forderungen treiben lassen. Der menschenrechtliche Unterbietungswettbewerb muss jetzt ein Ende haben. Die kommenden Landesregierungen haben den Auftrag, die Rechte aller zu schützen – ohne dabei zu diskriminieren. Rassismus, Queerfeindlichkeit und Hass stehen dem diametral entgegen.

Jeden Tag engagieren sich Menschen in Thüringen und Sachsen für Vielfalt und Menschenrechte. Nicht selten sind sie selbst von Diskriminierung betroffen oder erfahren Gewalt. Heute ist es wichtig, zu zeigen, dass Hetze keinen Platz in unserer Gesellschaft findet. Wir müssen Pride-Paraden und andere Orte queeren Lebens schützen, die wie zuletzt in Bautzen ins Visier geraten sind. Wir müssen aktiv werden bei rassistischen Angriffen im Alltag. Zivilgesellschaftliche Initiativen brauchen Rückendeckung, ob sie für Betroffene von Rassismus und Gewalt arbeiten oder für die Bildung von Kindern. Wenn die Vision einer Gesellschaft, an der alle gleichberechtigt teilhaben können, infrage gestellt wird, müssen wir uns einmischen!“

Konzertlesung zur Ukraine

Danke für das große Interesse an unserer Konzertlesung zur Ukraine!

Über die vielen Besucher haben wir uns sehr gefreut. Toll, dass Literaturvermittler Artur Nickel und die Lehrerin von zwei jungen Menschen aus der Ukraine dabei waren und die Jugendlichen ihre eigenen Texte (https://geest-verlag.de/shop/ukrainische-jugendliche-zwischen-gestern-und-morgen-unterwegs-ein-deutsch-ukrainisches-lesebuch) vortrugen.

Nach der sehr berührenden Konzertlesung von Schauspielerin Annette Schmidt (https://suhrkamp.de/buch/wie-ein-lichtstrahl-in-der-finsternis-t-9783949582233) und der Musikerin Nina Leonards haben das super leckere und vielfältige Büffet geholfen, dass wir uns wieder fangen konnten. Die Idee, dass solch ein Imbiss zum miteinander ins Gespräch kommen einlädt, hat sich vollumfänglich erfüllt. Die für die Veranstaltung angesetzte Zeit wurde deutlich überzogen.

Schön auch die Auswahl von Trachten aus der Ukraine, die auch gekauft werden konnten.

Die Ausstellung UKRAINE-ALLTAG IM KRIEG stand 3 Wochen in der Citykirche und stieß auf großes Interesse.