MiGAZIN: Einsicht nach fünf Jahren-Bundespolizei erkennt kurz vor Gerichtstermin ‚Racial-Profiling‘ als rechtswidrig an
MiGAZIN : Einsicht nach fünf Jahren: Bundespolizei erkennt kurz vor
Gerichtstermin ‚Racial-Profiling‘ als rechtswidrig an
Überraschende Wendung: Kurz vor dem Gerichtstermin hat die Bundspolizei
die Rechtswidrigkeit einer vor fünf Jahren durchgeführten
verdachtsunabhängigen Personenkontrolle zugegeben. Experten fordern
jetzt Maßnahmen.
Von Redaktion – 11. April 2019
Anfang Januar 2014 fuhr der Wissenschaftler Dr. Andreas S. (Name
geändert), der aus einer deutsch- indischen Familie stammt, mit dem Zug
von Kempten nach München. In der Nähe von Kaufbeuren stiegen
Bundespolizeibeamte zu und führten bei Herrn Dr. S. anlasslos eine
sogenannte verdachtsunabhängige Personenkontrolle durch. Im Waggon
kontrollierten die Beamten keine weiteren Personen.
Der Betroffene, der bereits wiederholt ähnliche Erfahrungen gemacht
hatte, vermutete, wegen seiner Hautfarbe kontrolliert worden zu sein
(Racial Profiling). Hierdurch fühlte er sich diskriminiert. Außerdem
rügte er einen Verstoß der maßgeblichen Vorschrift im
Bundespolizeigesetz für Personenkontrollen gegen Vorgaben des
Europarechts und legte Klage beim Verwaltungsgericht München ein.
Info: Unter „racial profiling“ bezeichnet man eine Personenkontrolle der
Polizei, die nur aufgrund äußerer Erscheinungsmerkmale wie etwa der
Hautfarbe ausgelöst wird. Das Bundespolizeigesetzes regelt
verdachtsunabhängige Personenkontrollen. Amnesty International
kritisiert „racial profiling“ als diskriminierend. Es verstoße gegen das
Grundgesetz. Deshalb fordert die Menschenrechtsorganisation, Teile des
Paragrafen 22 im Bundespolizeigesetz abzuschaffen. Das
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hatte 2012 erklärt, dass es
verfassungswidrig sei, wenn die Hautfarbe als ausschlaggebendes
Kriterium für eine Ausweiskontrolle herangezogen werde.
Das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts München wurde nach
drei Jahren und einer Verzögerungsrüge des Klägers gefällt. Das
Verwaltungsgericht konnte damals keine Rechtswidrigkeit erkennen.
Späte Einsicht
Der Kläger beantragte die Zulassung der Berufung. Darüber sollte am 8.
April 2019 vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verhandelt werden.
Doch es kam nicht dazu. Kurz vor der Verhandlung teilte die
Bundespolizeidirektion München mit, dass „die von ihren Beamten
durchgeführte Personalienfeststellung des Klägers vom 07.01.2014 sowie
der unmittelbar fernmündlich durchgeführte Personalienabgleich
rechtswidrig waren.“
„Eine späte Einsicht“, so Rechtsanwalt Sven Adam, der den Kläger
vertritt. „Bundesweit hat sich geklärt, dass verdachtsunabhängige
Kontrollen, wenn sie aufgrund phänotypischer Merkmale durchgeführt
werden, rechtlich nicht haltbar sind.“
Expertin: Einsicht müssen Taten folgen
Vera Egenberger, Geschäftsführerin des Büros zur Umsetzung von
Gleichbehandlung e. V. (BUG), erklärt: „Der Einsicht der
Bundespolizeidirektion München müssen Taten folgen. Die interne
Verwaltungsvorschrift der Bundespolizei BRAS 120 muss nun zügig ergänzt
werden, um den Bundespolizeibeamten eine klare Orientierung zu geben,
unter welchen Bedingungen sie verdachtsunabhängige Personenkontrollen
wegen der möglichen illegalen Einreise durchführen dürfen.“ Wenn nicht,
sei das Eingeständnis eine reine Vermeidungsstrategie, um die Sachlage
einer höchstrichterlichen Einschätzung zu entziehen.
Dr. Andreas S. äußerte sich überrascht: „Ich bin erstaunt, dass es einer
Klage, die fünf Jahre dauerte, bedurfte, um nun bei der Bundespolizei
zur Erkenntnis zu gelangen, dass die Kontrolle rechtswidrig war. Ich
hoffe, dass dies zu einem nachhaltigen Umdenken bei der Bundespolizei
führt.“ (bug/mig)