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NSU-Urteil darf kein Schlussstrich sein – Rolle von institutionellem Rassismus muss untersucht werden
NSU-Urteil darf kein Schlussstrich sein – Rolle von institutionellem Rassismus muss untersucht werden
BERLIN, 11.07.2018 – Amnesty International begrüßt, dass mit dem Schuldspruch des Oberlandesgerichts München gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte für zehn Morde, Beihilfe und weitere Verbrechen ein wichtiger Teil der juristischen Aufarbeitung abgeschlossen ist. „Sieben Jahre nach dem Ende der rassistisch motivierten Mordserie des sogenannten NSU sendet das Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten ein klares Signal“, sagt Maria Scharlau, Anti-Rassismus-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. „Gleichzeitig bleibt nach mehr als 400 Verhandlungstagen weiter unklar, wie es zu dem erschreckenden Versagen der Behörden bei den Ermittlungen kommen konnte und inwieweit institutioneller Rassismus hierfür verantwortlich war.“
„Die Ermittlungsbehörden haben elf Jahre lang die rassistischen Tatmotive verkannt und durch eine teilweise offen rassistische Vorgehensweise eine rasche und umfassende Aufklärung des NSU-Komplexes verhindert. Die NSU-Täter konnten ein Jahrzehnt lang im Untergrund leben und ihre Morde vorbereiten, während teilweise bis zu 40 V-Leute des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU eingesetzt waren“, sagt Scharlau. Die Polizei konzentrierte sich dagegen auf eine Theorie, für die es weder Hinweise noch Beweise gab: dass die Morde von organisierten Banden begangen worden seien, die in der türkischen und griechischen Community illegalen Aktivitäten nachgehen würden. Die Polizei verhörte Hunderte türkeistämmige Personen; Familienangehörige der Ermordeten wurden häufig als Verdächtige behandelt und nicht ausreichend über den Stand der Ermittlungen informiert. „Die angewandten Ermittlungsmethoden sind Anzeichen für ein strukturelles Versagen der Behörden und für institutionellen Rassismus.“
„Amnesty International fordert eine lange überfällige Untersuchung, inwieweit institutioneller Rassismus in den Behörden eine bessere Aufklärung des NSU-Komplexes verhindert hat. Bundeskanzlerin Merkel hat den Familien der Ermordeten im Februar 2012 vollständige Aufklärung versprochen – dazu gehört auch eine umfassende und unabhängige Untersuchung des Behördenversagens“, so Scharlau. NSU-Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene haben wichtige und zukunftsweisende Handlungsempfehlungen zur besseren Bekämpfung von rassistischen Gewalttaten gegeben: Daraufhin wurden zum Beispiel die Richtlinien der Ermittlungsbehörden so ergänzt, dass Hinweise von Opfern und Zeugen auf rassistische Tatmotive dokumentiert werden müssen. „Amnesty fordert die Innen- und Justizbehörden auf, sicherzustellen, dass diese Verbesserungen auch in die Praxis umgesetzt werden. Alle Angehörigen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz müssen entsprechend geschult und für Rassismus sensibilisiert werden.“
Der 80-seitige Amnesty-Bericht „Leben in Unsicherheit: Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“ (2016) dokumentiert unter anderem, dass eine schnelle Aufklärung der Verbrechen des sogenannten NSU nicht zuletzt wegen rassistischer Vorurteile der Strafverfolgungsbehörden gegenüber den Angehörigen der Opfer über Jahre hinweg immer wieder scheiterte. Den vollständigen Bericht sowie eine Zusammenfassung finden Sie auf bit.ly/AmnestyDeutschland.
Flughafenverfahren: Sozialpädagogin: „Kaum Zeit für Beratung“
MiGAZIN
Sozialpädagogin: „Kaum Zeit für Beratung“
Im Transitbereich des Flughafens München werden Menschen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, festgehalten – in einer mit Stacheldraht umzäunten Unterkunft. Ein sogenanntes Flughafenverfahren wird dort schon lange praktiziert. Die Sozialpädagogin Jessica Gürtler kümmert sich seit November 2017 um die Menschen. Im Gespräch erklärt sie, wie das Verfahren abläuft. Von Susanne Schröder
Von Redaktion – 9. Juli 2018
Frau Gürtler, wie viele Menschen kommen derzeit ins Flughafenverfahren am Flughafen München?
Jessica Gürtler: Seit Anfang des Jahres ist der Zulauf recht stark. Wir hatten schon Menschen aus Kuba, Togo, Ägypten, China, Sri Lanka, Guinea, dem Kongo, der Türkei und anderen Ländern in der Unterkunft. Sie bekommen innerhalb von zwei Tagen eine Anhörung durch Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und können sich auch einen Rechtsbeistand nehmen. Einige dürfen nach Abschluss des Verfahrens nach Deutschland einreisen und werden weiter ins Münchner Ankunftszentrum vermittelt. Die anderen kommen in die Abschiebehaftanstalt Erding – oder sie warten in dieser Unterkunft, zum Teil mehrere Wochen, bis sie wieder ausreisen.
Was ist die Aufgabe der Flughafenseelsorge im Flughafenverfahren?
Jessica Gürtler: Wir signalisieren den Menschen, dass wir weder Polizei noch vom BAMF sind. Uns müssen sie nichts erklären. Wenn wir kommen, sind wir einfach für sie da. Unser Angebot orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen. Manchmal ist es ein Gespräch, ein gemeinsames Memory-Spiel oder eine Zigarette, aber auch die Krisenintervention nach dem Ablehnungsbescheid oder der Anruf bei einer nahestehenden Person im Heimatland, den wir möglich machen.
Die meisten Menschen haben nur einen kleinen Koffer mit dem Allernötigsten bei sich. Dann organisieren wir Wechselkleidung, Hygieneartikel oder medizinische Versorgung, wenn beispielsweise Diabetiker Insulin benötigen. Die psychische Stabilisierung ist vor allem bei alleinreisenden Frauen eine wichtige Aufgabe. Nur weil sie über den Luftweg nach Deutschland gekommen sind, heißt das nicht, dass sie weniger traumatische Erfahrungen gemacht haben.
Wie funktioniert die Anhörung im Flughafenverfahren?
Jessica Gürtler: Wir erklären den Menschen ihre Rechte und Pflichten bei der BAMF-Anhörung und sagen ihnen, worum es dabei geht. Möchten sie gegen einen Ablehnungsbescheid klagen, sind wir das Bindeglied zwischen Asylsuchendem und Rechtsanwalt und vermitteln Dolmetscher. Sind die genannten Fluchtgründe nicht ausreichend, sprechen wir mit den Menschen über Optionen in ihrem Heimatland.
Werden sie in die Abschiebehaft überführt, erfolgt eine Fallübergabe mit der Kollegin in Erding. Der Austausch mit der Bundespolizei, den Anwälten und der Haftanstalt ist insgesamt sehr gut. Nur die knappen Fristen im Flughafenverfahren sind eine Herausforderung. Wenn jemand am Freitag ankommt und am Montagvormittag schon seine Anhörung hat, bleibt uns kaum Zeit für die Beratung. Das ist für die Betroffenen von Nachteil: Viele nennen aus Scham, Angst oder Unwissenheit ihre wahren Fluchtgründe nicht und werden dann abgelehnt. (epd/mig)
Kuscheltiere und vom Sinn von Vernetzungen
Am Düsseldorfer Flughafen ging der Vorrat der Bundespolizei an Kuscheltieren, der an abzuschiebende
Kinder verteilt wird, zur Neige.
Natürlich ist es nicht Amnesty-Aufgabe, Kuscheltiere zu sammeln. Aber Kooperationspartner
konnten angesprochen werden und wurden diesbezüglich aktiv.
Näheres erfahren Sie in dem Zeitungsartikel aus den Aachener Nachrichten vom 28. Juni 2018
Den Behörden Beine machen: Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
MiGAZIN
Den Behörden Beine machen
Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
Der Europäische Gerichtshof hat im April 2018 den Familiennachzug von
Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich erleichtert. Diese
Entscheidung stellt die europarechtswidrige Praxis der Behörden auf den
Kopf.
Von Dr. Constantin Hruschka – 4. Juni 2018
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 12. April 2018 im Urteil A und
S den Familiennachzug von Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich
erleichtert und dabei insbesondere die Frage geklärt, zu welchem
Zeitpunkt die Person unter 18 Jahre alt gewesen sein muss. In dogmatisch
überzeugender Weise arbeitet der EuGH heraus, dass auf den Zeitpunkt der
Asylantragstellung abzustellen ist. Ist also die Person unter 18 Jahre
alt, wenn sie einen Asylantrag stellt, dann ist sie für die
Familienzusammenführung auch dann als minderjährig anzusehen, wenn sie
während des Asylverfahrens volljährig wird. Dieses Urteil hat erhebliche
Auswirkungen auf die deutsche Praxis des Familiennachzugs zu
unbegleiteten Minderjährigen. Mit der Entscheidung bestätigt der EuGH
seine zunehmende grundrechtliche Orientierung in Migrationsfragen.
Recht auf Familienzusammenführung
Unbegleitete Minderjährige sind seit Jahren ein wichtiges und
wiederkehrendes Thema in der Debatte um das gemeinsame europäische
Asylsystem. In der Regel geht es dabei um verschwundene Kinder oder um
die Feststellung des Alters einer Person, die angegeben hat minderjährig
zu sein. Gleichzeitig ist die Familienzusammenführung für
Drittstaatsangehörige ein nicht nur in Deutschland kontrovers
diskutiertes Thema. Der europa- und verfassungsrechtlich äußerst
bedenkliche komplette Ausschluss der Familienzusammenführung für
subsidiär schutzberechtigte Personen in Deutschland seit dem März 2016
ist hier nur eines von vielen rechtlich wie politisch ungeklärten Themen.
Ein Bereich, der beide Themenkomplexe verbindet, ist der sog. umgekehrte
Familiennachzug, also der Nachzug von Eltern zu ihren
drittstaatsgehörigen Kindern. Das Europarecht regelt diese Frage in der
Familienzusammenführungsrichtl
dass ein solcher umgekehrter Familiennachzug bei Drittstaatsangehörigen
ermöglicht werden muss, wenn das Kind unbegleitet ist und als Flüchtling
anerkannt wurde (Art. 10 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie). Vor der
Entscheidung des EuGH war ungeklärt, welcher Zeitpunkt für den
Familienzusammenführungsanspru
Zu welchem Zeitpunkt muss die Person noch minderjährig sein, um den
Anspruch auf eine Familienzusammenführung mit den Eltern zu haben?
Der vorgelegte Fall
Das zuständige niederländische Gericht (Rechtbank Den Haag) hatte in
diesem Kontext dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zu einem Fall
vorgelegt, in dem eine während des Asylverfahrens in den Niederlanden
volljährig gewordene eritreische Staatsangehörige nach ihrer Anerkennung
als Flüchtling beantragt hatte, dass ihre Eltern (A. und S.) sowie ihre
drei minderjährigen Brüder im Rahmen der Familienzusammenführung
nachziehen dürfen. Der Anspruch auf Nachzug der Eltern hätte unstreitig
bestanden, wenn die Tochter von A. und S. noch minderjährig wäre. Da sie
aber im Laufe des Asylverfahrens volljährig wurde, war fraglich, zu
welchem Zeitpunkt die Minderjährigkeit (noch) vorliegen muss, damit der
Anspruch (weiter) besteht.
Die Eltern hatten geltend gemacht, dass es auf die Einreise ankäme,
wohingegen die EU-Kommission der Meinung war, dass auf den Zeitpunkt des
Antrags für die Familienzusammenführung abzustellen sei. Die polnische
Regierung, die in dem Rechtsstreit interveniert hat, brachte vor, es sei
auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag abzustellen,
während die niederländische Regierung mangels expliziter Regelung in der
Richtlinie der Meinung war, dass es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates
sei, diesen Zeitpunkt zu bestimmen. Das vorlegende Gericht war der
Meinung, dass grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Einreise abzustellen sei.
Die Entscheidung des Gerichts
Wie in vielen anderen Fällen betont der EuGH zuerst, dass eine
einheitliche europäische Lösung in der Regel in allen Fällen gefunden
werden muss, in denen Richtlinien nicht ausdrücklich auf das nationale
Recht verweisen. Der Gerichtshof suchte also für seine Entscheidung nach
einer „autonomen und einheitlichen Auslegung“ der fraglichen Bestimmung
(Rn. 41), aus der sich ein eindeutiger Zeitpunkt ergibt, zu dem die
Minderjährigkeit bestanden haben muss.
Dieser Zeitpunkt ist nach der Auslegung des Gerichtshofs der Zeitpunkt
der Asylantragsstellung des unbegleiteten Kindes. Zu dieser Einschätzung
kommt der Gerichtshof aus sehr grundlegenden rechtstaatlichen
Erwägungen, die er unter anderem aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitet.
Überzeugend argumentiert der EuGH, dass es mit den Grundsätzen des
Europarechts und insbesondere mit dem besonderen Schutz von Familien und
speziell der Familieneinheit von unbegleiteten Minderjährigen nicht
vereinbar wäre, wenn in zwei gleich gelagerten Fällen der Anspruch auf
Familiennachzug davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die mit der
Antragsprüfung befassten nationalen Behörden und Gerichte über den
Antrag entscheiden (vgl. dazu insbesondere Rn. 56).
Darüber hinaus betont der Gerichtshof, dass der Grundsatz der
Rechtssicherheit (als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts) es
gebietet, dass für eine antragstellende Person nicht „völlig
unvorhersehbar“ sein darf, ob ein Anspruch (hier der
Familiennachzugsanspruch) besteht oder nicht (vgl. dazu Rn. 59).
Aus der weiteren Systematik des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
leitet der Gerichtshof ferner ab, dass es nicht auf den
Einreisezeitpunkt ankommen kann, da eine Person, die Flüchtling im
völkerrechtlichen Sinne ist, aber keinen Asylantrag stellt, auch keinen
europarechtlichen Anspruch auf Familiennachzug hat, da dieser von der
Anerkennung als Flüchtling abhängig ist.
Dass trotzdem nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den
Asylantrag abzustellen ist, begründet der Gerichtshof überzeugend mit
dem deklaratorischen Charakter der Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft. Eine Person ist aus rechtlicher Sicht bereits
Flüchtling, bevor sie als solcher anerkannt wird, daher entsteht ein
subjektives also individuelles Recht auf Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach dem Europarecht bereits mit der
Asylantragstellung (vgl. dazu Rn. 53f.).
Gemäß der Entscheidung des EuGH ist der Anspruch davon abhängig, dass
die anspruchsberechtigte Person den Anspruch innerhalb einer
„angemessenen Frist“ geltend macht. Diese Frist lässt sich nach dem EuGH
aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ableiten. Dieser ermöglicht es den
Mitgliedstaaten die Familienzusammenführung zu Flüchtlingen von weiteren
Bedingungen (wie Krankenversicherungsschutz und
Lebensunterhaltssicherung) abhängig zu machen, wenn der Antrag nicht
innerhalb von drei Monaten gestellt wird, vgl. dazu Rn. 61).
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass eine Person, die zum
Asylantragszeitpunkt unbegleitet und minderjährig war und den Anspruch
innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
beantragt, einen Anspruch auf umgekehrten Familiennachzug hat.
Folgen der Entscheidung
Der Grundtenor der Entscheidung des EuGH ist eindeutig: Der Gerichtshof
misstraut den Mitgliedstaaten beim Schutz von Minderjährigen. Mehrfach
betont der EuGH, dass bei einer anderen Auslegung, den Mitgliedstaaten
durch verzögerte Bearbeitung der Anträge faktisch eine Möglichkeit
gegeben wäre, die Verpflichtungen aus der Richtlinie zu umgehen. Der
Gerichtshof hebt daher auch besonders hervor, dass die
Familienzusammenführungsrichtl
Familiennachzug für unbegleitete Minderjährige vorsieht, bei dessen
Gewährung den Mitgliedstaaten kein Ermessen zukommt. Sie müssen diesen
Anspruch gewähren, wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Dies
kann nur rechtsgleich und rechtssicher gewährleistet werden, wenn die
Mitgliedstaaten keinen Einfluss auf den relevanten Zeitpunkt haben.
Andernfalls könnten – so der EuGH – die Mitgliedstaaten, durch mangelnde
Ressourcenzuweisung für die Behörden und Gerichte, durch die nicht
vorrangige Behandlung von Asylanträgen von unbegleiteten Kindern oder
auch einfach aufgrund äußerer Umstände (wie einer plötzlichen Zunahme
von Asylanträgen) daran gehindert sein, ihrer Verpflichtung zum
besonderen Schutz der Familieneinheit von unbegleiteten Minderjährigen
nachzukommen. Das Misstrauen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten in
diesem Bereich ist groß und wohl nicht vollkommen ungerechtfertigt.
Für den deutschen Kontext bedeutet die Entscheidung, dass die bisherige
Praxis, die von einem Erlöschen des Anspruchs auf Familiennachzug mit
Erreichen der Volljährigkeit ausgeht, komplett geändert werden muss.
Bislang musste die Einreise der nachziehenden Person(en) erfolgt sein,
solange die Person noch minderjährig ist. Interessanterweise ist dieser
Zeitpunkt lediglich in Ansätzen von der niederländischen Regierung
vorgebracht worden, die die Bestimmung des Zeitpunkts den
Mitgliedstaaten überlassen wollte. Aus rechtspolitischer Sicht ist
zumindest nicht leicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung in
diesem Fall nicht ebenfalls interveniert hat.
Die europarechtswidrige Praxis der Behörden muss nunmehr entsprechend
korrigiert werden. Diese Korrektur muss praktisch wirksam sein. In
vielen Fällen wird dabei eine Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids
allein nicht ausreichen. Für behördlich zu Unrecht verweigerte Nachzüge
könnte die Frage des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf
Familiennachzug relevant sein, da der EuGH dafür drei Monate nach
Zuerkennung des Schutzstatus für angemessen hält, ohne dass dies sich
direkt aus der Richtlinie ergeben würde. Rechtlich interessant sind auch
die Konstellationen, in denen eine Person während des Asylverfahrens
volljährig wurde und wegen der deutschen Praxis auf einen
Familiennachzugsantrag verzichtet hat. Hier könnte beispielsweise an
eine Übergangsfrist zur nachträglichen Beantragung des Familiennachzugs
gedacht werden, die verfahrensrechtlich so ausgestaltet sein müsste,
dass der Familiennachzug tatsächlich ermöglicht wird. Das bedeutet, dass
die Person beantragen sollte, so gestellt zu werden als ob ihr gerade
erst die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden wäre und daher der
Nachzugsantrag noch rechtzeitig gestellt werden kann.
In der Sache begnügt sich der EuGH nicht allein damit, den
Mitgliedstaaten die Entscheidung über den relevanten Zeitpunkt, zu dem
die Minderjährigkeit bestehen muss, zu entziehen, um so den
Rechtsverlust durch eine verzögerte Bearbeitung von Asyl- und/oder
Familiennachzugsanträgen zu verhindern. Er betont darüber hinaus eines
der wichtigsten Grundprinzipien des Schutzes unbegleiteter
Minderjähriger: Die Asylanträge von Kindern sind vorrangig zu prüfen.
Daher müssen die Behörden die Asylverfahren in diesen Fällen besonders
schnell und effizient durchführen.
Insgesamt folgt der EuGH seiner Tendenz, die europarechtlichen
Spielräume der Mitgliedstaaten im Migrationsbereich durch eine
grundrechtskonforme und grundrechtssensible Auslegung der Bestimmungen
von Richtlinien und Verordnungen Rechnung zu tragen. Durch die Betonung
des vorrangig zu beachtenden Kindeswohls zeigt der EuGH zum wiederholten
Male den Mitgliedstaaten die grundrechtlichen Grenzen ihrer
Möglichkeiten zur restriktiven Auslegung der europarechtlichen
Regelungen zu Migration und Asyl auf. Diese Entwicklung hin zu einer
einheitlichen, an den Grundrechten orientierten Auslegung, die
spätestens seit der Entscheidung C.K. im Asylbereich klar feststellbar
ist, kann als Fortschritt auf dem Weg zu einem grundrechtlich
unterfütterten Migrationsregime in Europa angesehen werden. Die
Entscheidung steht damit auch gegen den Trend zu einer immer
restriktiveren Politik gegenüber international Schutzberechtigten, die
sich aktuell insbesondere in den nationalen Debatten in den
Mitgliedstaaten und in den Diskussionen um die Reform des Gemeinsamen
Europäischen Asylsystems zeigt.
URL des Artikels: http://www.migazin.de/2018/06/
Asyllagebericht: Koalition streitet über Abschiebungen nach Afghanistan
3. Juni 2018, 13:07 UhrQuelle: ZEIT ONLINE, dpa, AFP, KNA, fin
Asyllagebericht:
Koalition streitet über Abschiebungen nach Afghanistan
Krieg und Korruption: Der Lagebericht zu Afghanistan zeigt weiterhin große Probleme in dem Land. CSU und SPD ziehen daraus unterschiedliche Schlüsse für Asylverfahren.
Heute im Bundestag Nr. 361: Vorfall vor libyscher Küste
Vorfall vor libyscher Küste
hib – heute im bundestag Nr. 361
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen
Fr., 1. Juni 2018, Redaktionsschluss: 13.21 Uhr
Vorfall vor libyscher Küste
Berlin: (hib/AHE) Die Bundesregierung bestätigt, dass am 15. März 2018 auf hoher See im zentralen Mittelmeer eine von der italienischen Seenotrettungsleitstelle in Rom festgestellte Seenotrettung unter Beteiligung des Schiffes „Open Arms“ der spanischen Nichtregierungsorganisation „Pro Activa Open Arms“ und dem Patrouillenboot „Ras al Jadr“ der libyschen Küstenwache durchgeführt worden ist. Das schreibt sie in der Antwort (19/2021) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (19/1519). Der Einsatz oder die Androhung von Waffengewalt durch die libysche Küstenwache könne in diesem Zusammenhang allerdings nicht bestätigt werden.
Den Behörden Beine machen – Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
MiGAZIN
Den Behörden Beine machen – Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
Der Europäische Gerichtshof hat im April 2018 den Familiennachzug von Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich erleichtert. Diese Entscheidung stellt die europarechtswidrige Praxis der Behörden auf den Kopf.
Von Dr. Constantin Hruschka – 4. Juni 2018
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 12. April 2018 im Urteil A und S den Familiennachzug von Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich erleichtert und dabei insbesondere die Frage geklärt, zu welchem Zeitpunkt die Person unter 18 Jahre alt gewesen sein muss. In dogmatisch überzeugender Weise arbeitet der EuGH heraus, dass auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist. Ist also die Person unter 18 Jahre alt, wenn sie einen Asylantrag stellt, dann ist sie für die Familienzusammenführung auch dann als minderjährig anzusehen, wenn sie während des Asylverfahrens volljährig wird. Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Praxis des Familiennachzugs zu unbegleiteten Minderjährigen. Mit der Entscheidung bestätigt der EuGH seine zunehmende grundrechtliche Orientierung in Migrationsfragen.
Recht auf Familienzusammenführung
Unbegleitete Minderjährige sind seit Jahren ein wichtiges und wiederkehrendes Thema in der Debatte um das gemeinsame europäische Asylsystem. In der Regel geht es dabei um verschwundene Kinder oder um die Feststellung des Alters einer Person, die angegeben hat minderjährig zu sein. Gleichzeitig ist die Familienzusammenführung für Drittstaatsangehörige ein nicht nur in Deutschland kontrovers diskutiertes Thema. Der europa- und verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche komplette Ausschluss der Familienzusammenführung für subsidiär schutzberechtigte Personen in Deutschland seit dem März 2016 ist hier nur eines von vielen rechtlich wie politisch ungeklärten Themen.
Ein Bereich, der beide Themenkomplexe verbindet, ist der sog. umgekehrte Familiennachzug, also der Nachzug von Eltern zu ihren drittstaatsgehörigen Kindern. Das Europarecht regelt diese Frage in der Familienzusammenführungsrichtl
Der vorgelegte Fall
Das zuständige niederländische Gericht (Rechtbank Den Haag) hatte in diesem Kontext dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zu einem Fall vorgelegt, in dem eine während des Asylverfahrens in den Niederlanden volljährig gewordene eritreische Staatsangehörige nach ihrer Anerkennung als Flüchtling beantragt hatte, dass ihre Eltern (A. und S.) sowie ihre drei minderjährigen Brüder im Rahmen der Familienzusammenführung nachziehen dürfen. Der Anspruch auf Nachzug der Eltern hätte unstreitig bestanden, wenn die Tochter von A. und S. noch minderjährig wäre. Da sie aber im Laufe des Asylverfahrens volljährig wurde, war fraglich, zu welchem Zeitpunkt die Minderjährigkeit (noch) vorliegen muss, damit der Anspruch (weiter) besteht.
Die Eltern hatten geltend gemacht, dass es auf die Einreise ankäme, wohingegen die EU-Kommission der Meinung war, dass auf den Zeitpunkt des Antrags für die Familienzusammenführung abzustellen sei. Die polnische Regierung, die in dem Rechtsstreit interveniert hat, brachte vor, es sei auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag abzustellen, während die niederländische Regierung mangels expliziter Regelung in der Richtlinie der Meinung war, dass es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates sei, diesen Zeitpunkt zu bestimmen. Das vorlegende Gericht war der Meinung, dass grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Einreise abzustellen sei.
Die Entscheidung des Gerichts
Wie in vielen anderen Fällen betont der EuGH zuerst, dass eine einheitliche europäische Lösung in der Regel in allen Fällen gefunden werden muss, in denen Richtlinien nicht ausdrücklich auf das nationale Recht verweisen. Der Gerichtshof suchte also für seine Entscheidung nach einer „autonomen und einheitlichen Auslegung“ der fraglichen Bestimmung (Rn. 41), aus der sich ein eindeutiger Zeitpunkt ergibt, zu dem die Minderjährigkeit bestanden haben muss.
Dieser Zeitpunkt ist nach der Auslegung des Gerichtshofs der Zeitpunkt der Asylantragsstellung des unbegleiteten Kindes. Zu dieser Einschätzung kommt der Gerichtshof aus sehr grundlegenden rechtstaatlichen Erwägungen, die er unter anderem aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitet. Überzeugend argumentiert der EuGH, dass es mit den Grundsätzen des Europarechts und insbesondere mit dem besonderen Schutz von Familien und speziell der Familieneinheit von unbegleiteten Minderjährigen nicht vereinbar wäre, wenn in zwei gleich gelagerten Fällen der Anspruch auf Familiennachzug davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die mit der Antragsprüfung befassten nationalen Behörden und Gerichte über den Antrag entscheiden (vgl. dazu insbesondere Rn. 56).
Darüber hinaus betont der Gerichtshof, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit (als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts) es gebietet, dass für eine antragstellende Person nicht „völlig unvorhersehbar“ sein darf, ob ein Anspruch (hier der Familiennachzugsanspruch) besteht oder nicht (vgl. dazu Rn. 59).
Aus der weiteren Systematik des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems leitet der Gerichtshof ferner ab, dass es nicht auf den Einreisezeitpunkt ankommen kann, da eine Person, die Flüchtling im völkerrechtlichen Sinne ist, aber keinen Asylantrag stellt, auch keinen europarechtlichen Anspruch auf Familiennachzug hat, da dieser von der Anerkennung als Flüchtling abhängig ist.
Dass trotzdem nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag abzustellen ist, begründet der Gerichtshof überzeugend mit dem deklaratorischen Charakter der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Eine Person ist aus rechtlicher Sicht bereits Flüchtling, bevor sie als solcher anerkannt wird, daher entsteht ein subjektives also individuelles Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Europarecht bereits mit der Asylantragstellung (vgl. dazu Rn. 53f.).
Gemäß der Entscheidung des EuGH ist der Anspruch davon abhängig, dass die anspruchsberechtigte Person den Anspruch innerhalb einer „angemessenen Frist“ geltend macht. Diese Frist lässt sich nach dem EuGH aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ableiten. Dieser ermöglicht es den Mitgliedstaaten die Familienzusammenführung zu Flüchtlingen von weiteren Bedingungen (wie Krankenversicherungsschutz und Lebensunterhaltssicherung) abhängig zu machen, wenn der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten gestellt wird, vgl. dazu Rn. 61).
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass eine Person, die zum Asylantragszeitpunkt unbegleitet und minderjährig war und den Anspruch innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt, einen Anspruch auf umgekehrten Familiennachzug hat.
Folgen der Entscheidung
Der Grundtenor der Entscheidung des EuGH ist eindeutig: Der Gerichtshof misstraut den Mitgliedstaaten beim Schutz von Minderjährigen. Mehrfach betont der EuGH, dass bei einer anderen Auslegung, den Mitgliedstaaten durch verzögerte Bearbeitung der Anträge faktisch eine Möglichkeit gegeben wäre, die Verpflichtungen aus der Richtlinie zu umgehen. Der Gerichtshof hebt daher auch besonders hervor, dass die Familienzusammenführungsrichtl
Für den deutschen Kontext bedeutet die Entscheidung, dass die bisherige Praxis, die von einem Erlöschen des Anspruchs auf Familiennachzug mit Erreichen der Volljährigkeit ausgeht, komplett geändert werden muss. Bislang musste die Einreise der nachziehenden Person(en) erfolgt sein, solange die Person noch minderjährig ist. Interessanterweise ist dieser Zeitpunkt lediglich in Ansätzen von der niederländischen Regierung vorgebracht worden, die die Bestimmung des Zeitpunkts den Mitgliedstaaten überlassen wollte. Aus rechtspolitischer Sicht ist zumindest nicht leicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung in diesem Fall nicht ebenfalls interveniert hat.
Die europarechtswidrige Praxis der Behörden muss nunmehr entsprechend korrigiert werden. Diese Korrektur muss praktisch wirksam sein. In vielen Fällen wird dabei eine Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids allein nicht ausreichen. Für behördlich zu Unrecht verweigerte Nachzüge könnte die Frage des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf Familiennachzug relevant sein, da der EuGH dafür drei Monate nach Zuerkennung des Schutzstatus für angemessen hält, ohne dass dies sich direkt aus der Richtlinie ergeben würde. Rechtlich interessant sind auch die Konstellationen, in denen eine Person während des Asylverfahrens volljährig wurde und wegen der deutschen Praxis auf einen Familiennachzugsantrag verzichtet hat. Hier könnte beispielsweise an eine Übergangsfrist zur nachträglichen Beantragung des Familiennachzugs gedacht werden, die verfahrensrechtlich so ausgestaltet sein müsste, dass der Familiennachzug tatsächlich ermöglicht wird. Das bedeutet, dass die Person beantragen sollte, so gestellt zu werden als ob ihr gerade erst die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden wäre und daher der Nachzugsantrag noch rechtzeitig gestellt werden kann.
In der Sache begnügt sich der EuGH nicht allein damit, den Mitgliedstaaten die Entscheidung über den relevanten Zeitpunkt, zu dem die Minderjährigkeit bestehen muss, zu entziehen, um so den Rechtsverlust durch eine verzögerte Bearbeitung von Asyl- und/oder Familiennachzugsanträgen zu verhindern. Er betont darüber hinaus eines der wichtigsten Grundprinzipien des Schutzes unbegleiteter Minderjähriger: Die Asylanträge von Kindern sind vorrangig zu prüfen. Daher müssen die Behörden die Asylverfahren in diesen Fällen besonders schnell und effizient durchführen.
Insgesamt folgt der EuGH seiner Tendenz, die europarechtlichen Spielräume der Mitgliedstaaten im Migrationsbereich durch eine grundrechtskonforme und grundrechtssensible Auslegung der Bestimmungen von Richtlinien und Verordnungen Rechnung zu tragen. Durch die Betonung des vorrangig zu beachtenden Kindeswohls zeigt der EuGH zum wiederholten Male den Mitgliedstaaten die grundrechtlichen Grenzen ihrer Möglichkeiten zur restriktiven Auslegung der europarechtlichen Regelungen zu Migration und Asyl auf. Diese Entwicklung hin zu einer einheitlichen, an den Grundrechten orientierten Auslegung, die spätestens seit der Entscheidung C.K. im Asylbereich klar feststellbar ist, kann als Fortschritt auf dem Weg zu einem grundrechtlich unterfütterten Migrationsregime in Europa angesehen werden. Die Entscheidung steht damit auch gegen den Trend zu einer immer restriktiveren Politik gegenüber international Schutzberechtigten, die sich aktuell insbesondere in den nationalen Debatten in den Mitgliedstaaten und in den Diskussionen um die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zeigt.
URL des Artikels: http://www.migazin.de/2018/06/
Zeit Freitext zum Thema Schule
Kabinett billigt Gesetzentwurf, Flüchtlinge können auf Familiennachzug hoffen
MiGAZIN Von Redaktion – 11. Mai 2018
Kabinett billigt Gesetzentwurf
Flüchtlinge können auf Familiennachzug hoffen
Vor zwei Jahren ging es für viele nicht mehr weiter: Flüchtlinge, die nur einen untergeordneten Schutzstatus hatten, durften ihre Ehegatten und Kinder nicht nachholen. Das soll sich ändern – wenn auch begrenzt. Maximal 1.000 Angehörige pro Monat sollen kommen dürfen. Von Mey Dudin
Flüchtlinge mit untergeordnetem Schutzstatus können wieder auf den Nachzug ihrer Familien hoffen. Das Bundeskabinett brachte am Mittwoch in Berlin eine Neuregelung auf den Weg, wonach der im Frühjahr 2016 ausgesetzte Familiennachzug ab August wieder möglich sein soll. Allerdings ist dieser auf 1.000 Angehörige pro Monat begrenzt.
Der Bedarf ist deutlich höher: Es gibt an den deutschen Auslandsvertretungen schon rund 26.000 Terminanfragen der Angehörigen von Flüchtlingen mit dem sogenannten subsidiären Schutz, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage hervorgeht. In den Auslandsvertretungen werden die Visa-Anträge für den Familiennachzug eingereicht. Nach Angaben der Bundesregierung hielten sich zum Stichtag 31. März 2018 rund 200.000 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz in Deutschland auf – etwa 140.000 sind Syrer.
Bundesverwaltungsamt trifft Auswahl
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte klar, dass für diese Flüchtlinge ein Anspruch auf Familiennachzug künftig nicht mehr bestehe. Er setze bei diesen Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz auf einen begrenzten Familiennachzug mit einer humanitären Auswahl nach klaren Kriterien. Diese Auswahl treffe das Bundesverwaltungsamt. Der Nachzug gilt für Mitglieder der Kernfamilie, also Ehepartner, Kinder und Eltern von minderjährigen Flüchtlingen.
Laut Seehofer gilt in der Startphase des Gesetzes die Grenze von 5.000 Visa in fünf Monaten. Anträge vom August können dann also auch noch im September oder Oktober bearbeitet werden. Ab 1. Januar 2019 gelte aber die strikte Grenze von 1.000 im Monat.
Bundestag und Bundesrat müsse noch zustimmen
Ausgeschlossen ist der Familiennachzug laut Entwurf, wenn eine Ausreise aus Deutschland kurzfristig zu erwarten ist, wenn die Ehe nicht vor der Flucht geschlossen wurde oder wenn ein Urteil wegen einer schwerwiegenden Straftat vorliegt. Dem Gesetzentwurf müssen noch Bundestag und Bundesrat zustimmen.
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) widersprach Medienberichten, wonach sogenannten Gefährdern in Ausnahmefällen der Familiennachzug gestattet wird. Gefährder seien nach wie vor von der Familienzusammenführung ausgenommen, betonte sie. Allerdings könne bei Personen, die früher einmal als Gefährder galten, sich aber glaubhaft losgesagt hätten, die Möglichkeit eines Nachzugs der Familie geprüft werden. Glaubhaft losgesagt haben sich laut Barley etwa Personen, die mit den Behörden zusammenarbeiten, um Straftaten zu verhindern.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass sein Ministerium diesen Zusatz nur widerwillig mittrage. „Wir tragen das so mit, vor allem weil die Letztentscheidung beim Bundesinnenministerium liegt“, sagte er dem Blatt und betonte: „Wir haben da die Hand drauf.“
Pro Asyl kritisiert Regelung
Die Caritas äußerte die Sorge, dass sich die Verfahren für die betroffenen Familien noch weiter verzögern, vor allem weil künftig nach komplizierten Kriterien entschieden werde. Die Arbeitsgemeinschaft der Familienorganisationen forderte die Regierung auf, dafür einstehen, dass Deutschland seiner Verantwortung für die Menschenrechte und den Schutz der Familie gerecht werde. Pro Asyl kritisierte, dass aus dem Grundrecht auf Familie ein „Gnadenrecht des Staates“ werde. Der Paritätische Wohlfahrtsverband betonte, dass das Regelwerk gegen das Diskriminierungsverbot verstoße.
Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, forderte Nachbesserungen. Das monatliche Kontingent von 1.000 Personen nannte sie „willkürlich“. Grüne und Linke kündigten Widerstand gegen das Gesetz im Parlament an. Der Bundestag dürfe diesem „verfassungswidrigen Gesetz“ auf keinen Fall zustimmen, erklärte die Innen-Expertin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. Die Grünen-Sprecherin für Flüchtlingspolitik, Luise Amtsberg, erklärte, dass ihre Partei das Gesetz entschieden ablehnen werde. (epd/mig)