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NSU-Urteil darf kein Schlussstrich sein – Rolle von institutionellem Rassismus muss untersucht werden
NSU-Urteil darf kein Schlussstrich sein – Rolle von institutionellem Rassismus muss untersucht werden
BERLIN, 11.07.2018 – Amnesty International begrüßt, dass mit dem Schuldspruch des Oberlandesgerichts München gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte für zehn Morde, Beihilfe und weitere Verbrechen ein wichtiger Teil der juristischen Aufarbeitung abgeschlossen ist. „Sieben Jahre nach dem Ende der rassistisch motivierten Mordserie des sogenannten NSU sendet das Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten ein klares Signal“, sagt Maria Scharlau, Anti-Rassismus-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. „Gleichzeitig bleibt nach mehr als 400 Verhandlungstagen weiter unklar, wie es zu dem erschreckenden Versagen der Behörden bei den Ermittlungen kommen konnte und inwieweit institutioneller Rassismus hierfür verantwortlich war.“
„Die Ermittlungsbehörden haben elf Jahre lang die rassistischen Tatmotive verkannt und durch eine teilweise offen rassistische Vorgehensweise eine rasche und umfassende Aufklärung des NSU-Komplexes verhindert. Die NSU-Täter konnten ein Jahrzehnt lang im Untergrund leben und ihre Morde vorbereiten, während teilweise bis zu 40 V-Leute des Verfassungsschutzes im Umfeld des NSU eingesetzt waren“, sagt Scharlau. Die Polizei konzentrierte sich dagegen auf eine Theorie, für die es weder Hinweise noch Beweise gab: dass die Morde von organisierten Banden begangen worden seien, die in der türkischen und griechischen Community illegalen Aktivitäten nachgehen würden. Die Polizei verhörte Hunderte türkeistämmige Personen; Familienangehörige der Ermordeten wurden häufig als Verdächtige behandelt und nicht ausreichend über den Stand der Ermittlungen informiert. „Die angewandten Ermittlungsmethoden sind Anzeichen für ein strukturelles Versagen der Behörden und für institutionellen Rassismus.“
„Amnesty International fordert eine lange überfällige Untersuchung, inwieweit institutioneller Rassismus in den Behörden eine bessere Aufklärung des NSU-Komplexes verhindert hat. Bundeskanzlerin Merkel hat den Familien der Ermordeten im Februar 2012 vollständige Aufklärung versprochen – dazu gehört auch eine umfassende und unabhängige Untersuchung des Behördenversagens“, so Scharlau. NSU-Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene haben wichtige und zukunftsweisende Handlungsempfehlungen zur besseren Bekämpfung von rassistischen Gewalttaten gegeben: Daraufhin wurden zum Beispiel die Richtlinien der Ermittlungsbehörden so ergänzt, dass Hinweise von Opfern und Zeugen auf rassistische Tatmotive dokumentiert werden müssen. „Amnesty fordert die Innen- und Justizbehörden auf, sicherzustellen, dass diese Verbesserungen auch in die Praxis umgesetzt werden. Alle Angehörigen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz müssen entsprechend geschult und für Rassismus sensibilisiert werden.“
Der 80-seitige Amnesty-Bericht „Leben in Unsicherheit: Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“ (2016) dokumentiert unter anderem, dass eine schnelle Aufklärung der Verbrechen des sogenannten NSU nicht zuletzt wegen rassistischer Vorurteile der Strafverfolgungsbehörden gegenüber den Angehörigen der Opfer über Jahre hinweg immer wieder scheiterte. Den vollständigen Bericht sowie eine Zusammenfassung finden Sie auf bit.ly/AmnestyDeutschland.
Flughafenverfahren: Sozialpädagogin: „Kaum Zeit für Beratung“
MiGAZIN
 Sozialpädagogin: „Kaum Zeit für Beratung“
 Im Transitbereich des Flughafens München werden Menschen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, festgehalten – in einer mit Stacheldraht umzäunten Unterkunft. Ein sogenanntes Flughafenverfahren wird dort schon lange praktiziert. Die Sozialpädagogin Jessica Gürtler kümmert sich seit November 2017 um die Menschen. Im Gespräch erklärt sie, wie das Verfahren abläuft. Von Susanne Schröder
Von Redaktion – 9. Juli 2018
Frau Gürtler, wie viele Menschen kommen derzeit ins Flughafenverfahren am Flughafen München?
Jessica Gürtler: Seit Anfang des Jahres ist der Zulauf recht stark. Wir hatten schon Menschen aus Kuba, Togo, Ägypten, China, Sri Lanka, Guinea, dem Kongo, der Türkei und anderen Ländern in der Unterkunft. Sie bekommen innerhalb von zwei Tagen eine Anhörung durch Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und können sich auch einen Rechtsbeistand nehmen. Einige dürfen nach Abschluss des Verfahrens nach Deutschland einreisen und werden weiter ins Münchner Ankunftszentrum vermittelt. Die anderen kommen in die Abschiebehaftanstalt Erding – oder sie warten in dieser Unterkunft, zum Teil mehrere Wochen, bis sie wieder ausreisen.
 Was ist die Aufgabe der Flughafenseelsorge im Flughafenverfahren?
 Jessica Gürtler: Wir signalisieren den Menschen, dass wir weder Polizei noch vom BAMF sind. Uns müssen sie nichts erklären. Wenn wir kommen, sind wir einfach für sie da. Unser Angebot orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen. Manchmal ist es ein Gespräch, ein gemeinsames Memory-Spiel oder eine Zigarette, aber auch die Krisenintervention nach dem Ablehnungsbescheid oder der Anruf bei einer nahestehenden Person im Heimatland, den wir möglich machen.
 Die meisten Menschen haben nur einen kleinen Koffer mit dem Allernötigsten bei sich. Dann organisieren wir Wechselkleidung, Hygieneartikel oder medizinische Versorgung, wenn beispielsweise Diabetiker Insulin benötigen. Die psychische Stabilisierung ist vor allem bei alleinreisenden Frauen eine wichtige Aufgabe. Nur weil sie über den Luftweg nach Deutschland gekommen sind, heißt das nicht, dass sie weniger traumatische Erfahrungen gemacht haben.
 Wie funktioniert die Anhörung im Flughafenverfahren?
 Jessica Gürtler: Wir erklären den Menschen ihre Rechte und Pflichten bei der BAMF-Anhörung und sagen ihnen, worum es dabei geht. Möchten sie gegen einen Ablehnungsbescheid klagen, sind wir das Bindeglied zwischen Asylsuchendem und Rechtsanwalt und vermitteln Dolmetscher. Sind die genannten Fluchtgründe nicht ausreichend, sprechen wir mit den Menschen über Optionen in ihrem Heimatland.
 Werden sie in die Abschiebehaft überführt, erfolgt eine Fallübergabe mit der Kollegin in Erding. Der Austausch mit der Bundespolizei, den Anwälten und der Haftanstalt ist insgesamt sehr gut. Nur die knappen Fristen im Flughafenverfahren sind eine Herausforderung. Wenn jemand am Freitag ankommt und am Montagvormittag schon seine Anhörung hat, bleibt uns kaum Zeit für die Beratung. Das ist für die Betroffenen von Nachteil: Viele nennen aus Scham, Angst oder Unwissenheit ihre wahren Fluchtgründe nicht und werden dann abgelehnt. (epd/mig)
Kuscheltiere und vom Sinn von Vernetzungen
Am Düsseldorfer Flughafen ging der Vorrat der Bundespolizei an Kuscheltieren, der an abzuschiebende
 Kinder verteilt wird, zur Neige.
 Natürlich ist es nicht Amnesty-Aufgabe, Kuscheltiere zu sammeln. Aber Kooperationspartner
 konnten angesprochen werden und wurden diesbezüglich aktiv.
 Näheres erfahren Sie in dem Zeitungsartikel aus den Aachener Nachrichten vom 28. Juni 2018
Den Behörden Beine machen: Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
MiGAZIN
 Den Behörden Beine machen
 Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
 Der Europäische Gerichtshof hat im April 2018 den Familiennachzug von
 Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich erleichtert. Diese
 Entscheidung stellt die europarechtswidrige Praxis der Behörden auf den
 Kopf.
 Von Dr. Constantin Hruschka – 4. Juni 2018
 Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 12. April 2018 im Urteil A und
 S den Familiennachzug von Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich
 erleichtert und dabei insbesondere die Frage geklärt, zu welchem
 Zeitpunkt die Person unter 18 Jahre alt gewesen sein muss. In dogmatisch
 überzeugender Weise arbeitet der EuGH heraus, dass auf den Zeitpunkt der
 Asylantragstellung abzustellen ist. Ist also die Person unter 18 Jahre
 alt, wenn sie einen Asylantrag stellt, dann ist sie für die
 Familienzusammenführung auch dann als minderjährig anzusehen, wenn sie
 während des Asylverfahrens volljährig wird. Dieses Urteil hat erhebliche
 Auswirkungen auf die deutsche Praxis des Familiennachzugs zu
 unbegleiteten Minderjährigen. Mit der Entscheidung bestätigt der EuGH
 seine zunehmende grundrechtliche Orientierung in Migrationsfragen.
Recht auf Familienzusammenführung
 Unbegleitete Minderjährige sind seit Jahren ein wichtiges und
 wiederkehrendes Thema in der Debatte um das gemeinsame europäische
 Asylsystem. In der Regel geht es dabei um verschwundene Kinder oder um
 die Feststellung des Alters einer Person, die angegeben hat minderjährig
 zu sein. Gleichzeitig ist die Familienzusammenführung für
 Drittstaatsangehörige ein nicht nur in Deutschland kontrovers
 diskutiertes Thema. Der europa- und verfassungsrechtlich äußerst
 bedenkliche komplette Ausschluss der Familienzusammenführung für
 subsidiär schutzberechtigte Personen in Deutschland seit dem März 2016
 ist hier nur eines von vielen rechtlich wie politisch ungeklärten Themen.
 Ein Bereich, der beide Themenkomplexe verbindet, ist der sog. umgekehrte
 Familiennachzug, also der Nachzug von Eltern zu ihren
 drittstaatsgehörigen Kindern. Das Europarecht regelt diese Frage in der
 Familienzusammenführungsrichtl
 dass ein solcher umgekehrter Familiennachzug bei Drittstaatsangehörigen
 ermöglicht werden muss, wenn das Kind unbegleitet ist und als Flüchtling
 anerkannt wurde (Art. 10 Abs. 3 Buchst. a) der Richtlinie). Vor der
 Entscheidung des EuGH war ungeklärt, welcher Zeitpunkt für den
 Familienzusammenführungsanspru
 Zu welchem Zeitpunkt muss die Person noch minderjährig sein, um den
 Anspruch auf eine Familienzusammenführung mit den Eltern zu haben?
 Der vorgelegte Fall
 Das zuständige niederländische Gericht (Rechtbank Den Haag) hatte in
 diesem Kontext dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zu einem Fall
 vorgelegt, in dem eine während des Asylverfahrens in den Niederlanden
 volljährig gewordene eritreische Staatsangehörige nach ihrer Anerkennung
 als Flüchtling beantragt hatte, dass ihre Eltern (A. und S.) sowie ihre
 drei minderjährigen Brüder im Rahmen der Familienzusammenführung
 nachziehen dürfen. Der Anspruch auf Nachzug der Eltern hätte unstreitig
 bestanden, wenn die Tochter von A. und S. noch minderjährig wäre. Da sie
 aber im Laufe des Asylverfahrens volljährig wurde, war fraglich, zu
 welchem Zeitpunkt die Minderjährigkeit (noch) vorliegen muss, damit der
 Anspruch (weiter) besteht.
 Die Eltern hatten geltend gemacht, dass es auf die Einreise ankäme,
 wohingegen die EU-Kommission der Meinung war, dass auf den Zeitpunkt des
 Antrags für die Familienzusammenführung abzustellen sei. Die polnische
 Regierung, die in dem Rechtsstreit interveniert hat, brachte vor, es sei
 auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag abzustellen,
 während die niederländische Regierung mangels expliziter Regelung in der
 Richtlinie der Meinung war, dass es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates
 sei, diesen Zeitpunkt zu bestimmen. Das vorlegende Gericht war der
 Meinung, dass grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Einreise abzustellen sei.
 Die Entscheidung des Gerichts
 Wie in vielen anderen Fällen betont der EuGH zuerst, dass eine
 einheitliche europäische Lösung in der Regel in allen Fällen gefunden
 werden muss, in denen Richtlinien nicht ausdrücklich auf das nationale
 Recht verweisen. Der Gerichtshof suchte also für seine Entscheidung nach
 einer „autonomen und einheitlichen Auslegung“ der fraglichen Bestimmung
 (Rn. 41), aus der sich ein eindeutiger Zeitpunkt ergibt, zu dem die
 Minderjährigkeit bestanden haben muss.
 Dieser Zeitpunkt ist nach der Auslegung des Gerichtshofs der Zeitpunkt
 der Asylantragsstellung des unbegleiteten Kindes. Zu dieser Einschätzung
 kommt der Gerichtshof aus sehr grundlegenden rechtstaatlichen
 Erwägungen, die er unter anderem aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitet.
 Überzeugend argumentiert der EuGH, dass es mit den Grundsätzen des
 Europarechts und insbesondere mit dem besonderen Schutz von Familien und
 speziell der Familieneinheit von unbegleiteten Minderjährigen nicht
 vereinbar wäre, wenn in zwei gleich gelagerten Fällen der Anspruch auf
 Familiennachzug davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die mit der
 Antragsprüfung befassten nationalen Behörden und Gerichte über den
 Antrag entscheiden (vgl. dazu insbesondere Rn. 56).
 Darüber hinaus betont der Gerichtshof, dass der Grundsatz der
 Rechtssicherheit (als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts) es
 gebietet, dass für eine antragstellende Person nicht „völlig
 unvorhersehbar“ sein darf, ob ein Anspruch (hier der
 Familiennachzugsanspruch) besteht oder nicht (vgl. dazu Rn. 59).
 Aus der weiteren Systematik des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
 leitet der Gerichtshof ferner ab, dass es nicht auf den
 Einreisezeitpunkt ankommen kann, da eine Person, die Flüchtling im
 völkerrechtlichen Sinne ist, aber keinen Asylantrag stellt, auch keinen
 europarechtlichen Anspruch auf Familiennachzug hat, da dieser von der
 Anerkennung als Flüchtling abhängig ist.
 Dass trotzdem nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den
 Asylantrag abzustellen ist, begründet der Gerichtshof überzeugend mit
 dem deklaratorischen Charakter der Zuerkennung der
 Flüchtlingseigenschaft. Eine Person ist aus rechtlicher Sicht bereits
 Flüchtling, bevor sie als solcher anerkannt wird, daher entsteht ein
 subjektives also individuelles Recht auf Zuerkennung der
 Flüchtlingseigenschaft nach dem Europarecht bereits mit der
 Asylantragstellung (vgl. dazu Rn. 53f.).
 Gemäß der Entscheidung des EuGH ist der Anspruch davon abhängig, dass
 die anspruchsberechtigte Person den Anspruch innerhalb einer
 „angemessenen Frist“ geltend macht. Diese Frist lässt sich nach dem EuGH
 aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ableiten. Dieser ermöglicht es den
 Mitgliedstaaten die Familienzusammenführung zu Flüchtlingen von weiteren
 Bedingungen (wie Krankenversicherungsschutz und
 Lebensunterhaltssicherung) abhängig zu machen, wenn der Antrag nicht
 innerhalb von drei Monaten gestellt wird, vgl. dazu Rn. 61).
 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass eine Person, die zum
 Asylantragszeitpunkt unbegleitet und minderjährig war und den Anspruch
 innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
 beantragt, einen Anspruch auf umgekehrten Familiennachzug hat.
Folgen der Entscheidung
 Der Grundtenor der Entscheidung des EuGH ist eindeutig: Der Gerichtshof
 misstraut den Mitgliedstaaten beim Schutz von Minderjährigen. Mehrfach
 betont der EuGH, dass bei einer anderen Auslegung, den Mitgliedstaaten
 durch verzögerte Bearbeitung der Anträge faktisch eine Möglichkeit
 gegeben wäre, die Verpflichtungen aus der Richtlinie zu umgehen. Der
 Gerichtshof hebt daher auch besonders hervor, dass die
 Familienzusammenführungsrichtl
 Familiennachzug für unbegleitete Minderjährige vorsieht, bei dessen
 Gewährung den Mitgliedstaaten kein Ermessen zukommt. Sie müssen diesen
 Anspruch gewähren, wenn die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Dies
 kann nur rechtsgleich und rechtssicher gewährleistet werden, wenn die
 Mitgliedstaaten keinen Einfluss auf den relevanten Zeitpunkt haben.
 Andernfalls könnten – so der EuGH – die Mitgliedstaaten, durch mangelnde
 Ressourcenzuweisung für die Behörden und Gerichte, durch die nicht
 vorrangige Behandlung von Asylanträgen von unbegleiteten Kindern oder
 auch einfach aufgrund äußerer Umstände (wie einer plötzlichen Zunahme
 von Asylanträgen) daran gehindert sein, ihrer Verpflichtung zum
 besonderen Schutz der Familieneinheit von unbegleiteten Minderjährigen
 nachzukommen. Das Misstrauen des EuGH gegenüber Mitgliedstaaten in
 diesem Bereich ist groß und wohl nicht vollkommen ungerechtfertigt.
Für den deutschen Kontext bedeutet die Entscheidung, dass die bisherige
 Praxis, die von einem Erlöschen des Anspruchs auf Familiennachzug mit
 Erreichen der Volljährigkeit ausgeht, komplett geändert werden muss.
 Bislang musste die Einreise der nachziehenden Person(en) erfolgt sein,
 solange die Person noch minderjährig ist. Interessanterweise ist dieser
 Zeitpunkt lediglich in Ansätzen von der niederländischen Regierung
 vorgebracht worden, die die Bestimmung des Zeitpunkts den
 Mitgliedstaaten überlassen wollte. Aus rechtspolitischer Sicht ist
 zumindest nicht leicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung in
 diesem Fall nicht ebenfalls interveniert hat.
 Die europarechtswidrige Praxis der Behörden muss nunmehr entsprechend
 korrigiert werden. Diese Korrektur muss praktisch wirksam sein. In
 vielen Fällen wird dabei eine Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids
 allein nicht ausreichen. Für behördlich zu Unrecht verweigerte Nachzüge
 könnte die Frage des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf
 Familiennachzug relevant sein, da der EuGH dafür drei Monate nach
 Zuerkennung des Schutzstatus für angemessen hält, ohne dass dies sich
 direkt aus der Richtlinie ergeben würde. Rechtlich interessant sind auch
 die Konstellationen, in denen eine Person während des Asylverfahrens
 volljährig wurde und wegen der deutschen Praxis auf einen
 Familiennachzugsantrag verzichtet hat. Hier könnte beispielsweise an
 eine Übergangsfrist zur nachträglichen Beantragung des Familiennachzugs
 gedacht werden, die verfahrensrechtlich so ausgestaltet sein müsste,
 dass der Familiennachzug tatsächlich ermöglicht wird. Das bedeutet, dass
 die Person beantragen sollte, so gestellt zu werden als ob ihr gerade
 erst die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden wäre und daher der
 Nachzugsantrag noch rechtzeitig gestellt werden kann.
 In der Sache begnügt sich der EuGH nicht allein damit, den
 Mitgliedstaaten die Entscheidung über den relevanten Zeitpunkt, zu dem
 die Minderjährigkeit bestehen muss, zu entziehen, um so den
 Rechtsverlust durch eine verzögerte Bearbeitung von Asyl- und/oder
 Familiennachzugsanträgen zu verhindern. Er betont darüber hinaus eines
 der wichtigsten Grundprinzipien des Schutzes unbegleiteter
 Minderjähriger: Die Asylanträge von Kindern sind vorrangig zu prüfen.
 Daher müssen die Behörden die Asylverfahren in diesen Fällen besonders
 schnell und effizient durchführen.
 Insgesamt folgt der EuGH seiner Tendenz, die europarechtlichen
 Spielräume der Mitgliedstaaten im Migrationsbereich durch eine
 grundrechtskonforme und grundrechtssensible Auslegung der Bestimmungen
 von Richtlinien und Verordnungen Rechnung zu tragen. Durch die Betonung
 des vorrangig zu beachtenden Kindeswohls zeigt der EuGH zum wiederholten
 Male den Mitgliedstaaten die grundrechtlichen Grenzen ihrer
 Möglichkeiten zur restriktiven Auslegung der europarechtlichen
 Regelungen zu Migration und Asyl auf. Diese Entwicklung hin zu einer
 einheitlichen, an den Grundrechten  orientierten Auslegung, die
 spätestens seit der Entscheidung C.K. im Asylbereich klar feststellbar
 ist, kann als Fortschritt auf dem Weg zu einem grundrechtlich
 unterfütterten Migrationsregime in Europa angesehen werden. Die
 Entscheidung steht damit auch gegen den Trend zu einer immer
 restriktiveren Politik gegenüber international Schutzberechtigten, die
 sich aktuell insbesondere in den nationalen Debatten in den
 Mitgliedstaaten und in den Diskussionen um die Reform des Gemeinsamen
 Europäischen Asylsystems zeigt.
 URL des Artikels: http://www.migazin.de/2018/06/
Asyllagebericht: Koalition streitet über Abschiebungen nach Afghanistan
3. Juni 2018, 13:07 UhrQuelle: ZEIT ONLINE, dpa, AFP, KNA, fin
 Asyllagebericht:
 Koalition streitet über Abschiebungen nach Afghanistan
 Krieg und Korruption: Der Lagebericht zu Afghanistan zeigt weiterhin große Probleme in dem Land. CSU und SPD ziehen daraus unterschiedliche Schlüsse für Asylverfahren.
Heute im Bundestag Nr. 361: Vorfall vor libyscher Küste
Vorfall vor libyscher Küste
hib – heute im bundestag Nr. 361
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen
Fr., 1. Juni 2018, Redaktionsschluss: 13.21 Uhr
Vorfall vor libyscher Küste
Berlin: (hib/AHE) Die Bundesregierung bestätigt, dass am 15. März 2018 auf hoher See im zentralen Mittelmeer eine von der italienischen Seenotrettungsleitstelle in Rom festgestellte Seenotrettung unter Beteiligung des Schiffes „Open Arms“ der spanischen Nichtregierungsorganisation „Pro Activa Open Arms“ und dem Patrouillenboot „Ras al Jadr“ der libyschen Küstenwache durchgeführt worden ist. Das schreibt sie in der Antwort (19/2021) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (19/1519). Der Einsatz oder die Androhung von Waffengewalt durch die libysche Küstenwache könne in diesem Zusammenhang allerdings nicht bestätigt werden.
Den Behörden Beine machen – Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
MiGAZIN
 Den Behörden Beine machen – Das EuGH-Urteil zur Familienzusammenführung von Flüchtlingen
Der Europäische Gerichtshof hat im April 2018 den Familiennachzug von Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich erleichtert. Diese Entscheidung stellt die europarechtswidrige Praxis der Behörden auf den Kopf.
Von Dr. Constantin Hruschka – 4. Juni 2018
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 12. April 2018 im Urteil A und S den Familiennachzug von Eltern zu unbegleiteten Kindern maßgeblich erleichtert und dabei insbesondere die Frage geklärt, zu welchem Zeitpunkt die Person unter 18 Jahre alt gewesen sein muss. In dogmatisch überzeugender Weise arbeitet der EuGH heraus, dass auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist. Ist also die Person unter 18 Jahre alt, wenn sie einen Asylantrag stellt, dann ist sie für die Familienzusammenführung auch dann als minderjährig anzusehen, wenn sie während des Asylverfahrens volljährig wird. Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Praxis des Familiennachzugs zu unbegleiteten Minderjährigen. Mit der Entscheidung bestätigt der EuGH seine zunehmende grundrechtliche Orientierung in Migrationsfragen.
Recht auf Familienzusammenführung
 Unbegleitete Minderjährige sind seit Jahren ein wichtiges und wiederkehrendes Thema in der Debatte um das gemeinsame europäische Asylsystem. In der Regel geht es dabei um verschwundene Kinder oder um die Feststellung des Alters einer Person, die angegeben hat minderjährig zu sein. Gleichzeitig ist die Familienzusammenführung für Drittstaatsangehörige ein nicht nur in Deutschland kontrovers diskutiertes Thema. Der europa- und verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche komplette Ausschluss der Familienzusammenführung für subsidiär schutzberechtigte Personen in Deutschland seit dem März 2016 ist hier nur eines von vielen rechtlich wie politisch ungeklärten Themen.
 Ein Bereich, der beide Themenkomplexe verbindet, ist der sog. umgekehrte Familiennachzug, also der Nachzug von Eltern zu ihren drittstaatsgehörigen Kindern. Das Europarecht regelt diese Frage in der Familienzusammenführungsrichtl
 Der vorgelegte Fall
 Das zuständige niederländische Gericht (Rechtbank Den Haag) hatte in diesem Kontext dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zu einem Fall vorgelegt, in dem eine während des Asylverfahrens in den Niederlanden volljährig gewordene eritreische Staatsangehörige nach ihrer Anerkennung als Flüchtling beantragt hatte, dass ihre Eltern (A. und S.) sowie ihre drei minderjährigen Brüder im Rahmen der Familienzusammenführung nachziehen dürfen. Der Anspruch auf Nachzug der Eltern hätte unstreitig bestanden, wenn die Tochter von A. und S. noch minderjährig wäre. Da sie aber im Laufe des Asylverfahrens volljährig wurde, war fraglich, zu welchem Zeitpunkt die Minderjährigkeit (noch) vorliegen muss, damit der Anspruch (weiter) besteht.
 Die Eltern hatten geltend gemacht, dass es auf die Einreise ankäme, wohingegen die EU-Kommission der Meinung war, dass auf den Zeitpunkt des Antrags für die Familienzusammenführung abzustellen sei. Die polnische Regierung, die in dem Rechtsstreit interveniert hat, brachte vor, es sei auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag abzustellen, während die niederländische Regierung mangels expliziter Regelung in der Richtlinie der Meinung war, dass es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates sei, diesen Zeitpunkt zu bestimmen. Das vorlegende Gericht war der Meinung, dass grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Einreise abzustellen sei.
 Die Entscheidung des Gerichts
 Wie in vielen anderen Fällen betont der EuGH zuerst, dass eine einheitliche europäische Lösung in der Regel in allen Fällen gefunden werden muss, in denen Richtlinien nicht ausdrücklich auf das nationale Recht verweisen. Der Gerichtshof suchte also für seine Entscheidung nach einer „autonomen und einheitlichen Auslegung“ der fraglichen Bestimmung (Rn. 41), aus der sich ein eindeutiger Zeitpunkt ergibt, zu dem die Minderjährigkeit bestanden haben muss.
 Dieser Zeitpunkt ist nach der Auslegung des Gerichtshofs der Zeitpunkt der Asylantragsstellung des unbegleiteten Kindes. Zu dieser Einschätzung kommt der Gerichtshof aus sehr grundlegenden rechtstaatlichen Erwägungen, die er unter anderem aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitet. Überzeugend argumentiert der EuGH, dass es mit den Grundsätzen des Europarechts und insbesondere mit dem besonderen Schutz von Familien und speziell der Familieneinheit von unbegleiteten Minderjährigen nicht vereinbar wäre, wenn in zwei gleich gelagerten Fällen der Anspruch auf Familiennachzug davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die mit der Antragsprüfung befassten nationalen Behörden und Gerichte über den Antrag entscheiden (vgl. dazu insbesondere Rn. 56).
 Darüber hinaus betont der Gerichtshof, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit (als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts) es gebietet, dass für eine antragstellende Person nicht „völlig unvorhersehbar“ sein darf, ob ein Anspruch (hier der Familiennachzugsanspruch) besteht oder nicht (vgl. dazu Rn. 59).
 Aus der weiteren Systematik des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems leitet der Gerichtshof ferner ab, dass es nicht auf den Einreisezeitpunkt ankommen kann, da eine Person, die Flüchtling im völkerrechtlichen Sinne ist, aber keinen Asylantrag stellt, auch keinen europarechtlichen Anspruch auf Familiennachzug hat, da dieser von der Anerkennung als Flüchtling abhängig ist.
 Dass trotzdem nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag abzustellen ist, begründet der Gerichtshof überzeugend mit dem deklaratorischen Charakter der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Eine Person ist aus rechtlicher Sicht bereits Flüchtling, bevor sie als solcher anerkannt wird, daher entsteht ein subjektives also individuelles Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Europarecht bereits mit der Asylantragstellung (vgl. dazu Rn. 53f.).
 Gemäß der Entscheidung des EuGH ist der Anspruch davon abhängig, dass die anspruchsberechtigte Person den Anspruch innerhalb einer „angemessenen Frist“ geltend macht. Diese Frist lässt sich nach dem EuGH aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ableiten. Dieser ermöglicht es den Mitgliedstaaten die Familienzusammenführung zu Flüchtlingen von weiteren Bedingungen (wie Krankenversicherungsschutz und Lebensunterhaltssicherung) abhängig zu machen, wenn der Antrag nicht innerhalb von drei Monaten gestellt wird, vgl. dazu Rn. 61).
 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass eine Person, die zum Asylantragszeitpunkt unbegleitet und minderjährig war und den Anspruch innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt, einen Anspruch auf umgekehrten Familiennachzug hat.
Folgen der Entscheidung
 Der Grundtenor der Entscheidung des EuGH ist eindeutig: Der Gerichtshof misstraut den Mitgliedstaaten beim Schutz von Minderjährigen. Mehrfach betont der EuGH, dass bei einer anderen Auslegung, den Mitgliedstaaten durch verzögerte Bearbeitung der Anträge faktisch eine Möglichkeit gegeben wäre, die Verpflichtungen aus der Richtlinie zu umgehen. Der Gerichtshof hebt daher auch besonders hervor, dass die Familienzusammenführungsrichtl
Für den deutschen Kontext bedeutet die Entscheidung, dass die bisherige Praxis, die von einem Erlöschen des Anspruchs auf Familiennachzug mit Erreichen der Volljährigkeit ausgeht, komplett geändert werden muss. Bislang musste die Einreise der nachziehenden Person(en) erfolgt sein, solange die Person noch minderjährig ist. Interessanterweise ist dieser Zeitpunkt lediglich in Ansätzen von der niederländischen Regierung vorgebracht worden, die die Bestimmung des Zeitpunkts den Mitgliedstaaten überlassen wollte. Aus rechtspolitischer Sicht ist zumindest nicht leicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung in diesem Fall nicht ebenfalls interveniert hat.
 Die europarechtswidrige Praxis der Behörden muss nunmehr entsprechend korrigiert werden. Diese Korrektur muss praktisch wirksam sein. In vielen Fällen wird dabei eine Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids allein nicht ausreichen. Für behördlich zu Unrecht verweigerte Nachzüge könnte die Frage des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf Familiennachzug relevant sein, da der EuGH dafür drei Monate nach Zuerkennung des Schutzstatus für angemessen hält, ohne dass dies sich direkt aus der Richtlinie ergeben würde. Rechtlich interessant sind auch die Konstellationen, in denen eine Person während des Asylverfahrens volljährig wurde und wegen der deutschen Praxis auf einen Familiennachzugsantrag verzichtet hat. Hier könnte beispielsweise an eine Übergangsfrist zur nachträglichen Beantragung des Familiennachzugs gedacht werden, die verfahrensrechtlich so ausgestaltet sein müsste, dass der Familiennachzug tatsächlich ermöglicht wird. Das bedeutet, dass die Person beantragen sollte, so gestellt zu werden als ob ihr gerade erst die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden wäre und daher der Nachzugsantrag noch rechtzeitig gestellt werden kann.
 In der Sache begnügt sich der EuGH nicht allein damit, den Mitgliedstaaten die Entscheidung über den relevanten Zeitpunkt, zu dem die Minderjährigkeit bestehen muss, zu entziehen, um so den Rechtsverlust durch eine verzögerte Bearbeitung von Asyl- und/oder Familiennachzugsanträgen zu verhindern. Er betont darüber hinaus eines der wichtigsten Grundprinzipien des Schutzes unbegleiteter Minderjähriger: Die Asylanträge von Kindern sind vorrangig zu prüfen. Daher müssen die Behörden die Asylverfahren in diesen Fällen besonders schnell und effizient durchführen.
 Insgesamt folgt der EuGH seiner Tendenz, die europarechtlichen Spielräume der Mitgliedstaaten im Migrationsbereich durch eine grundrechtskonforme und grundrechtssensible Auslegung der Bestimmungen von Richtlinien und Verordnungen Rechnung zu tragen. Durch die Betonung des vorrangig zu beachtenden Kindeswohls zeigt der EuGH zum wiederholten Male den Mitgliedstaaten die grundrechtlichen Grenzen ihrer Möglichkeiten zur restriktiven Auslegung der europarechtlichen Regelungen zu Migration und Asyl auf. Diese Entwicklung hin zu einer einheitlichen, an den Grundrechten  orientierten Auslegung, die spätestens seit der Entscheidung C.K. im Asylbereich klar feststellbar ist, kann als Fortschritt auf dem Weg zu einem grundrechtlich unterfütterten Migrationsregime in Europa angesehen werden. Die Entscheidung steht damit auch gegen den Trend zu einer immer restriktiveren Politik gegenüber international Schutzberechtigten, die sich aktuell insbesondere in den nationalen Debatten in den Mitgliedstaaten und in den Diskussionen um die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zeigt.
URL des Artikels: http://www.migazin.de/2018/06/
Zeit Freitext zum Thema Schule
Kabinett billigt Gesetzentwurf, Flüchtlinge können auf Familiennachzug hoffen
MiGAZIN Von Redaktion – 11. Mai 2018
Kabinett billigt Gesetzentwurf
 Flüchtlinge können auf Familiennachzug hoffen
Vor zwei Jahren ging es für viele nicht mehr weiter: Flüchtlinge, die nur einen untergeordneten Schutzstatus hatten, durften ihre Ehegatten und Kinder nicht nachholen. Das soll sich ändern – wenn auch begrenzt. Maximal 1.000 Angehörige pro Monat sollen kommen dürfen. Von Mey Dudin
Flüchtlinge mit untergeordnetem Schutzstatus können wieder auf den Nachzug ihrer Familien hoffen. Das Bundeskabinett brachte am Mittwoch in Berlin eine Neuregelung auf den Weg, wonach der im Frühjahr 2016 ausgesetzte Familiennachzug ab August wieder möglich sein soll. Allerdings ist dieser auf 1.000 Angehörige pro Monat begrenzt.
Der Bedarf ist deutlich höher: Es gibt an den deutschen Auslandsvertretungen schon rund 26.000 Terminanfragen der Angehörigen von Flüchtlingen mit dem sogenannten subsidiären Schutz, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage hervorgeht. In den Auslandsvertretungen werden die Visa-Anträge für den Familiennachzug eingereicht. Nach Angaben der Bundesregierung hielten sich zum Stichtag 31. März 2018 rund 200.000 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz in Deutschland auf – etwa 140.000 sind Syrer.
 Bundesverwaltungsamt trifft Auswahl
 Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stellte klar, dass für diese Flüchtlinge ein Anspruch auf Familiennachzug künftig nicht mehr bestehe. Er setze bei diesen Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz auf einen begrenzten Familiennachzug mit einer humanitären Auswahl nach klaren Kriterien. Diese Auswahl treffe das Bundesverwaltungsamt. Der Nachzug gilt für Mitglieder der Kernfamilie, also Ehepartner, Kinder und Eltern von minderjährigen Flüchtlingen.
 Laut Seehofer gilt in der Startphase des Gesetzes die Grenze von 5.000 Visa in fünf Monaten. Anträge vom August können dann also auch noch im September oder Oktober bearbeitet werden. Ab 1. Januar 2019 gelte aber die strikte Grenze von 1.000 im Monat.
 Bundestag und Bundesrat müsse noch zustimmen
 Ausgeschlossen ist der Familiennachzug laut Entwurf, wenn eine Ausreise aus Deutschland kurzfristig zu erwarten ist, wenn die Ehe nicht vor der Flucht geschlossen wurde oder wenn ein Urteil wegen einer schwerwiegenden Straftat vorliegt. Dem Gesetzentwurf müssen noch Bundestag und Bundesrat zustimmen.
 Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) widersprach Medienberichten, wonach sogenannten Gefährdern in Ausnahmefällen der Familiennachzug gestattet wird. Gefährder seien nach wie vor von der Familienzusammenführung ausgenommen, betonte sie. Allerdings könne bei Personen, die früher einmal als Gefährder galten, sich aber glaubhaft losgesagt hätten, die Möglichkeit eines Nachzugs der Familie geprüft werden. Glaubhaft losgesagt haben sich laut Barley etwa Personen, die mit den Behörden zusammenarbeiten, um Straftaten zu verhindern.
 Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass sein Ministerium diesen Zusatz nur widerwillig mittrage. „Wir tragen das so mit, vor allem weil die Letztentscheidung beim Bundesinnenministerium liegt“, sagte er dem Blatt und betonte: „Wir haben da die Hand drauf.“
 Pro Asyl kritisiert Regelung
 Die Caritas äußerte die Sorge, dass sich die Verfahren für die betroffenen Familien noch weiter verzögern, vor allem weil künftig nach komplizierten Kriterien entschieden werde. Die Arbeitsgemeinschaft der Familienorganisationen forderte die Regierung auf, dafür einstehen, dass Deutschland seiner Verantwortung für die Menschenrechte und den Schutz der Familie gerecht werde. Pro Asyl kritisierte, dass aus dem Grundrecht auf Familie ein „Gnadenrecht des Staates“ werde. Der Paritätische Wohlfahrtsverband betonte, dass das Regelwerk gegen das Diskriminierungsverbot verstoße.
 Die migrationspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Linda Teuteberg, forderte Nachbesserungen. Das monatliche Kontingent von 1.000 Personen nannte sie „willkürlich“. Grüne und Linke kündigten Widerstand gegen das Gesetz im Parlament an. Der Bundestag dürfe diesem „verfassungswidrigen Gesetz“ auf keinen Fall zustimmen, erklärte die Innen-Expertin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. Die Grünen-Sprecherin für Flüchtlingspolitik, Luise Amtsberg, erklärte, dass ihre Partei das Gesetz entschieden ablehnen werde. (epd/mig)
