Rückblick Weltfrauentag

Danke an alle, die unsere Veranstaltung zum Weltfrauentag am 10. März 2020 in der Volkshochschule Aachen besuchten!

Ein kleines Quiz half uns, den Internationale Frauentag gemeinsam einzuordnen.

„STÄRKER ALS GEWALT“ heißt die im November 2019 durch Bundesfamilienministerin Giffey gestartete Initiative, in der sich Organisationen zusammengeschlossen haben, die im Bereich Hilfe und Unterstützung aktiv sind. Die Initiative wendet sich ausdrücklich an betroffene Frauen und Männer, aber auch an ihr Umfeld. Es soll ein konkretes Konzept für eine neue Monitoringstelle erarbeitet werden. Das Vorhaben ist Teil der Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention („Europaratsübereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“) sowie der Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels. Wir haben uns mit den Inhalten der Kampagne befasst. Als Schwerpunktländer hatten wir Indien und den Sudan gewählt:
Politikerinnen in Indien sehen sich auf Twitter mit einem schockierenden Ausmaß an Missbrauch konfrontiert. In den drei Monaten von März bis Mai 2019 im Vorfeld, während und kurz nach den Parlamentswahlen 2019 in Indien wurden mehr als 100.000 Tweets analysiert, die an 95 indische Politikerinnen gerichtet wurden. Die untersuchten Politikerinnen vertraten eine Vielzahl von politischen Ansichten, die das gesamte ideologische Spektrum abdecken. Die Studie mit dem Titel „Troll Patrol India: Online-Missbrauch von Politikerinnen in Indien aufdecken“ wurde vorgestellt und diskutiert.
Im Sudan kam es nach monatelangen Protesten im letzten Jahr zum Sturz des Langzeitpräsidenten Omar al-Bashir und zur Bildung einer Übergangsregierung. Die friedlichen Proteste wurden vor allem von Frauen und jungen Leuten getragen. Das Bashir-Regime reagierte mit brutaler Gewalt, was in dem Massaker vom 3. Juni 2019 gipfelte. Es gab über 100 Todesopfer und mehrere hundert Verletzte. Dabei gingen die Sicherheitskräfte besonders brutal gegen Frauen vor. Es kam zu vielen Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen auf Frauen, auch während der Haft. Die Frauen im Sudan fordern jetzt ihre Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Sie gehen für ein Leben in Würde auf die Straße. Sie fordern eine Verfassung, die ihnen gleiche Rechte und Macht wie den Männern garantiert, die ihr Geschlecht respektiert und gleiche Partizipation am sozialen Leben zugesteht, um ihr Leben zu verbessern.

Eindringlich las Annette Schmidt (Schauspielerin, TheaterK) aus dem Manifest „Mehr Feminismus!“ von Chimamanda Ngozi Adichie. Die nigerianische Bestsellerautorin ist eine der großen jungen Stimmen der Weltliteratur und eine hellwache Beobachterin unserer Zeit. In ihren Texten entlarvt sie, wie Stereotype unser Denken bestimmen und erzählt nicht ohne Humor über Rollenverständnis und -muster. Über all ihren Geschichten schwebt jedoch immer der helle Schimmer am Horizont, der eine gerechtere, bessere und tolerantere Welt ankündigt.

Die passenden Lieder, die Juan Pablo Raimundo mit seiner Gitarre vortrug, gaben der Veranstaltung einen würdigen und berührenden Rahmen
Unsere nächste Kooperationsveranstaltung findet am Montag, dem 30. Novemnber wieder in der Volkshochschule zum Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt. Nähere Informationen folgen zeitnah.

Mit Blick auf Corona Flüchtlingskinder könnten bald umverteilt werden

MIGAZIN am 16. März 2020
Mit Blick auf Corona
Flüchtlingskinder könnten bald umverteilt werden
Von zwei großen Herausforderungen der EU sprach der Vorsitzende des EU-Innenministerrates am Freitag: Coronavirus und Migration. Mit Blick auf die Migration zeichnet sich zumindest für zahlreiche Flüchtlingskinder eine Lösung ab – mit Blick auf Corona.

Die ersten Flüchtlingskinder könnten ab Montag möglicherweise aus Griechenland auf andere EU-Staaten umverteilt werden. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sagte am Freitag nach einem Treffen der europäischen Innenminister in Brüssel, sie hoffe dies, es sei aber kein Versprechen. Dort hatten eine Reihe von Ländern ihre Bereitschaft zur Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger bekräftigt.
Darunter ist Deutschland, wo die Regierungsparteien in der Nacht zum Montag ihre Teilnahme an einer „Koalition der Willigen“ beschlossen hatten. Hilfsorganisationen klagen seit Jahren über die unmenschlichen Bedingungen, unter denen insbesondere Kinder in den griechischen Lagern leben.
Mindestens 1.600 Aufnahmen
Am Donnerstag hatte Johansson bekanntgemacht, dass bislang sieben Mitgliedstaaten mitmachen [1] wollen. Unter ihnen sind etwa Frankreich und Finnland. Bei dem Treffen am Freitag hätten weitere signalisiert, dass sie zur Aufnahme bereit seien oder sie erwägen, sagte die Kommissarin. Es gehe um „mindestens 1.600“ Aufnahmen.
Johansson bezog sich nicht nur auf „unbegleitete Minderjährige“, sondern auch auf „Kinder und andere verwundbare Gruppen“. Es könnte demnach zum Beispiel auch um kranke aber von den Eltern begleitete Kinder gehen. Zudem sprach die Innenkommissarin auch von Umverteilungen aus Malta oder Zypern.
Verteilung mit Blick auf Corona
Die EU-Kommission will für die Verteilung mit den nationalen Behörden und der Internationalen Organisation für Migration zusammenarbeiten. Es werde auch geklärt, ob mit Blick auf den Corona-Virus besonderes Handeln nötig sei, sagte Johansson.
Der Vorsitzende des EU-Innenministerrats, Kroatiens Innenminister Davor Bozinovic, hatte die Themen schon vorher verknüpft. Man müsse berücksichtigen, was eine Aufnahme angesichts der Verbreitung des Virus in ganz Europa bedeute, sagte Bozinovic vor dem Ministertreffen, bei dem es auch unabhängig von den Flüchtlingen um den Umgang mit Corona ging.
Keine Corona-Maßnahmen in Flüchtlingslagern
Der Europaabgeordnete Erik Marquardt (Grüne) würdigte die Aufnahmebereitschaft der Koalition der Willigen, mahnte aber zugleich: „Die Mitgliedstaaten dürfen ihre eigentliche Verantwortung nicht hinter einigen Kinderaugen verstecken.“ Allein im für 3.000 Menschen konzipierten Flüchtlingslager Moria „leben rund 22.000 Schutzsuchende in Schlamm und Elend“, erklärte Marquardt, der sich derzeit auf Lesbos aufhält.
In dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ kritisierte Marquardt die Fahrlässigkeit im Umgang mit Flüchtlingslagern. „Alles, was gegen #Corona in Europa getan wird, ist in Lagern wie #Moria völlig unmöglich. Es mangelt an allem, auch Hygiene- und Quarantänemöglichkeiten. Wer jetzt nicht handelt, macht sich für die Katastrophe mitschuldig, die hier aus #Lesbos alle erwarten. #covid_19“

11. Wollsammeltag der Save-me-Kampagne

Rückblick auf den 11. Wollsammeltag der Save-me-Kampagne Zwar fanden bei schlechtem Wetter und Corona-Virus deutlich weniger Menschen den Weg zu unserem Wollsammeltag in der Citykirche, aber dieser war dennoch erfolgreich und sehr vielfältig. Als wir mit dem Aufbauen und den Vorbereitungen beginnen wollten, besprach gerade eine internationale Förderklasse die selbstgemalten Bilder, die rund um das Thema Flucht entstanden waren. Wie zu einem Familientreffen kamen unsere Unterstützerinnen aus den Niederlanden, aus Eschweiler und andere Frauen, und brachten sehr viele gestrickte Kunstwerke. Über diese zuverlässige Mitarbeit sind wir sehr froh. Sogar zwei Pakete mit Wollspenden wurden uns in die Citykirche zugeschickt. Eine Erzieherin hatte im Radio das Interview zum Wollsammeltag (Danke an Antenne AC) gehört und spontan wurde der Spaziergang in die Citykirche gelenkt-selbstverständlich auch mit einigen Wollspenden. Auch die Amnesty-Briefaktion zu der dramatischen Lage an der griechisch-türkischen Grenze fand zahlreiche Unterstützung. Oft fotografiert und nickend kommentiert der Spruch, den wir an die Pinwand geheftet hatten: WER MIT 50 kg NUDELN VORM NIESENDEN NACHBARN FLÜCHTET, SOLLTE NICHT ANDEREN MENSCHEN VORSCHREIBEN, MIT IHREN FAMILIEN IM BÜRGERKRIEG ZU BLEIBEN! Die Gelegenheit zum Austausch bei einem wärmenden Getränk und dem Imbiss wurde gerne genutzt und wir konnten unsere Fotos zeigen und auf die Situation von Flüchtlingen im Libanon, aber auch im Allgemeinen hinweisen. Der nächste Wollsammeltag findet am Donnerstag, dem 10. September 2020 wieder 10:00 – 17:00 Uhr in der Citykirche (Citykirche Aachen, An der Nikolauskirche 3, 52062 Aachen) statt. Wir freuen uns auf Ihre Woll- und Portospenden, sowie die Möglichkeit, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.

Der Kampf für das Recht auf Rechte

Abschottung, Abschreckung und Abwehr: Um Geflüchtete und Migrant*innen aufzuhalten, setzt Europa elementare Flüchtlings- und Menschenrechte außer Kraft. Gemeinsam mit Geflüchteten und Migrant*innen kämpft das Eau Claire Cooperative Health Center (ECCHR) für deren grundlegendes Recht, Rechte zu haben. Und dafür, dass das geltende Recht an den europäischen Grenzen geachtet wird.

[Video auf YouTube]

Amnesty Menschenrechtspreis 2020 geht an Seenotrettungscrew Iuventa10

Menschenrechtsverteidiger werden weltweit bedroht, angegriffen und kriminalisiert. In Europa gilt dies aktuell ganz besonders für diejenigen, die sich für Menschen auf der Flucht einsetzen. Sie sind nicht nur Anfeindungen ausgesetzt, sondern auch Regierungen gehen in zunehmendem Maße gegen sie vor, weil sie Menschen in Not helfen. Zu diesen Menschenrechtlern gehören zehn Besatzungsmitglieder des Schiffs „Iuventa“, die im Mittelmeer geflüchtete Menschen vor dem Ertrinken gerettet haben. Die italienische Justiz ermittelt seit Monaten gegen sie – auf Grundlage haltloser Vorwürfe. Für Amnesty International sind die Iuventa10 Vorbilder für menschenrechtliches Engagement, das unterstützt und geschützt werden muss und nicht kriminalisiert. Daher erhalten sie den Amnesty Menschenrechtspreis 2020.

Rund 200 Crewmitglieder haben zwischen Juli 2016 und August 2017 auf dem Rettungsschiff „Iuventa“ ehrenamtlich gearbeitet. In dieser Zeit haben sie unter Wahrung internationalen Rechts mehr als 14.000 Menschen aus Seenot gerettet – und wurden dafür von den italienischen Strafverfolgungsbehörden ins Visier genommen. Die Iuventa wurde verwanzt, Telefonate abgehört, verdeckte Ermittler eingesetzt. Zehn Besatzungsmitglieder aus Deutschland, England, Spanien und Portugal stehen seit zwei Jahren im Fokus dieser politisch motivierten Ermittlungen.

„Die Iuventa-Crew steht für all die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die sich auf dem Wasser und auf dem Land für das Überleben von Schutzsuchenden einsetzen. Amnesty International zeichnet sie daher stellvertretend für all diese Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger mit dem Amnesty Menschenrechtspreis 2020 aus“, sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International Deutschland. „Sie alle verdienen Anerkennung, Unterstützung und Schutz – statt Anfeindungen, Bedrohungen oder – wie in diesem Fall – politisch motivierter Verfolgung durch Behörden.“ Der Einsatz der Iuventa10 war durch internationales Seerecht gedeckt und erfolgte auf Anweisung der Rettungsleitstelle in Rom. Eine unabhängige Untersuchung von Logbüchern, meteorologischen Daten und Aufnahmen der Agentur Reuters durch die Rechercheagentur Forensic Architecture belegt zudem, dass die Vorwürfe der italienischen Justiz falsch sind. „Die Fakten lassen nur einen Schluss zu: Die italienische Staatsanwaltschaft muss das Verfahren gegen die Iuventa10 sofort und ohne Auflagen einstellen“, so Beeko.

ARTE film on Frontex

Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, auch Frontex genannt, ist in Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten zuständig für die Kontrolle der Außengrenzen der Europäischen Union. Die Agentur der Europäischen Union mit Sitz in Warschau wurde 2004 gegründet.

Angesichts der Flüchtlingskrise mehren sich die Anschuldigungen gegenüber Frontex, der EU-Agentur zur Bewachung der Außengrenzen. Es heißt, sie verletze die Grundrechte der Migranten. Ist Frontex eine kriminelle Agentur? „Vox Pop“ hat sich in Deutschland, Griechenland und Albanien umgesehen, ebenso wie bei NGOs, die die illegalen Methoden von Frontex anprangern.

Hier der Link zu dem Film:
https://www.arte.tv/de/videos/094976-000-A/frontex-missachtung-von-menschenrechten-vox-pop/

MIGAZIN: Hasan zeigt das Leben in griechischen Flüchtlingslagern

MIGAZIN am 7. Februar 2020
„EINMAL DEN LOUVRE BESUCHEN…“

Hasan zeigt das Leben in griechischen Flüchtlingslagern

Tausende Geflüchtete harren in Griechenland in überfüllten und unhygienischen Lagern in winteruntauglichen Unterkünften aus. Darunter auch Hasan, der Archäologiestudent aus Mossul. Er hat MiGAZIN durch die Lager geführt.Von Jochen Menzel am 7. Februar 2020 

Als der Bus endlich kommt, der mich mit einer Gruppe wartender Flüchtlinge von Mytilini ins nahegelegene Moria-Camp bringen soll, gibt’s ein ruppiges Gedränge. Mit Faustschlägen versucht ein Mann für sich und seine Frau einen Platz im Bus zu erobern. Andere schieben und stoßen, um durch die nur halb geöffnet Türe in den Bus zu gelangen. Der Kartenkontrolleur, der über Mitfahren oder Draußenbleiben entscheidet, schlichtet mit lauter, schneidender Stimme. Dann schließen sich die Türen, der Bus ist voll. Ich bleibe draußen.

Das ist der Augenblick, in dem mich Hasan auf Englisch anspricht, lächelnd, tröstend, zu Geduld ermunternd. Eine halbe Stunde später sitzen wir dann nebeneinander im nächsten, einem geräumigeren Bus. Er wird uns zum Moria-Camp bringen, eine Strecke von ca. 15 km. Hier ist Hasan seit November 2019 „zu Hause.“

Die Fahrt ist lang genug für die Geschichte seiner Flucht. Der heute 28jährige studierte in Mossul Archäologie. Bis die Terrororganisation „ISIS“ die Stadt 2014 im Handstreich einnahm, ein Terrorregime errichtete und alle, die Widerstand leisteten, umbrachte. Dazu gehörten auch Brüder und der Vater von Hasan.

Die Jahre bis zur Befreiung wagte er sich kaum auf Straße. Es waren Jahre der Angst, des Hungers und Elends. Ein Bild, das eine französische Journalistin von ihm machte, zeigt ihn in den Trümmern seines Hauses, auf 40 kg abgemagert, ein Baby des Nachbarn im Arm. Das muss der Augenblick gewesen sein, als Hasan beschließt die Stadt zu verlassen, in Richtung Deutschland, wohin es seine Schwester bereits geschafft hatte. Seine Sehnsucht: Frieden, einmal als Archäologe zu arbeiten und dann den Louvre in Paris besuchen, das Original der Mona Lisa sehen.

Hintergrund: Mitte Januar 2020 war Jochen Menzel im Anschluss an eine Türkei-Reise eine Woche auf der Insel Lesbos. Auf dem Weg ins Moria Camp lernte er Hasan aus Mosul kennen, mit dem er dann den Nachmittag verbrachte. Die Verbindung, die Anteilnahme besteht weiter, er schreibt Jochen Menzel ab und zu von seinem Alltag …

Hasan’s Fluchtstationen: die Türkei, Çeşme, Izmir. Von hier aus gelingt ihm im November 2019 die Überfahrt nach Lesbos, nachts in einem Schlauchboot. Bei seiner Ankunft auf der Insel wird er registriert, erhält ein Ausweisdokument, gültig vorläufig bis Ende Januar. Zusammen mit einem anderen Flüchtling aus Basra/Irak baute er aus Plastikplanen ein winziges Zelt. Es liegt außerhalb des eingezäunten offiziellen Moria-Camps, das wegen Überfüllung niemanden mehr aufnehmen kann. Unter diesen Planen, in einer Umgebung ohne sanitäre Anlagen, Strom oder fließendes Wasser findet er ab nun sein Zuhause.  Zunächst einmal bis zur ersten Anhörung im Mai, wenn in Mytilini über seinen Asylantrag befunden wird.

Das täglich sich ausbreitende Camp

Nachdem Hasan mir seinen Zeltnachbarn vorgestellt hat, – einen Palästinenser, der hier mit seiner Frau aus Algerien lebt -, führt er mich den Hügel hinauf, wohin sich das Lager täglich weiter ausbreitet. Ein Olivenhain vor Monaten noch, jetzt gesprenkelt vom Blau oder Weiß der Plastikplanen, den zwischen den Bäumen aufgespannten bunten Wäscheleinen, heute ein Lagerplatz für Flüchtlinge. Die Bäume sind gefällt oder beschnitten für Bau- und Brennholz, manche nur noch am Stumpf erkennbar. Neu angekommene afghanische Jungs bauen an ihrer Unterkunft, heben kleine Gräben aus, um sich bei Regen vor Wasser zu schützen. Hasan erzählt mir, wie dieses Lager wächst und sich unaufhörlich ausbreitet.

Wir gehen weiter zwischen den Zelten, Plastikbehausungen, entlang von Müllbergen.

Kinder spielen, an Bäumen wird gesägt, um Feuerstellen wärmen sich Menschengruppen an diesen kalten Wintertagen. Es wird Essen gekocht, zu dem wir eingeladen werden. Zusammen mit dem offiziellen, d.h. eingezäunten Teil sollen inzwischen mehr als 13.000 Menschen hier leben.

Unser Weg führt hinunter zum Lagerzaun, der an vielen Stellen aufgeschnitten ist. Menschen haben sich durch diese Lücken den Weg ins Hauptlager gebahnt, um zu Wasserstellen, zur Essensausgabe, zu den Toiletten, zu Beratungsstellen zu kommen.

Der Lager-Kosmos

Ein Gebetsruf ertönt aus einer entfernten Lagerecke – eine provisorische Mescit, eine kleine Moschee hat man eingerichtet, denn die meisten Flüchtlinge sind Muslime.

Entlang einem breiteren, mit Schotter befestigten Weg stehen Buden, behelfsmäßig aus Latten errichtet, mit blauen oder weißen Planen dichtgemacht. Aus ihnen wird verkauft: Süßigkeiten, Lutscher und Bonbons für Kinder, Hefte‚ Schreibwaren. Auf einer der Buden steht Exchange, auf Arabisch „saraf“ – das Geld, was in verschiedenen Währungen zirkuliert, kann hier in Euro eingetauscht werden. Ein paar Schritte weiter hat sich unter einem großen Plastikverhau eine Bäckerei eingerichtet, “illegal“, d.h. ohne ein offizielle Erlaubnis. Hier wird in einem Erdloch, einer Art Tandir-Ofen, Fladenbrot, Lavash, gebacken und verkauft. Vor anderen Buden stehen Kisten mit Obst zum Verkauf, ein farbiges Bild aus Orangen, Zitronen, Äpfeln und Gemüse, auf dem Hintergrund der blauen Plastikplanen.

Die Straße hinunter am Lagerzaun entlang erinnert an einen Flohmarkt: Aus dem Abfall der Stadt Aufgelesenes wird angeboten, ein arg demolierter Elektroheizer ist für 20 Euro zu haben. Den Preis bestimmt hier die Nachfrage, die Furcht vor der Kälte. Einige Händler sind Griechen, die täglich mit ihrem Obst und Gemüse, Kurzwaren, Textilien hierher kommen und sich ein Geschäft versprechen. Wir passieren eine kleine Ein-Mann-Kabine und lesen „Teheran Friseur“; ein Stuhl davor ist für die Wartenden.

Hasan‘s freundliche Art stellt den Kontakt her, vertreibt die Scheu vor dem Gespräch. Als man mich Türkisch sprechen hört, versammeln sich um mich Flüchtlinge aus dem Sudan, Afghanistan und anderen Ländern. Sie haben vor ihrer Ankunft im Lager einige Zeit in der Türkei gelebt und dort die Sprache gelernt. Ich bin überrascht, hier das Türkische als „lingua franca“, als Verkehrssprache zu hören

Die Menschen suchen den Kontakt nach draußen, zu Fremden. Sie sind hungrig nach Neuigkeiten, sie wünschen sich Anteilnahme, Mitgefühl. Eine Gruppe afghanischer Kinder, Frauen und Männer, wollen, dass ich sie fotografiere. Sie fragen mich, was ich fühle, angesichts dieser Zustände. Mir verschlägt es die Sprache, Scham und Hilflosigkeit beschleichen mich. Was wird aus den vielen Kindern, mit welchen Bildern und Erfahrungen wachsen sie auf, wo endet diese Odyssee – ohne greifbares Ziel, wo finden sie eine neue, menschenwürdige Bleibe?

Und wenn ich nach ihren Gefühlen frage, dann antworten sie, dass für sie das Lager zur Falle geworden ist, in der sie gefangen sind unter inhumanen Lebensverhältnissen. Ihr Ziel war ein besseres Leben ohne Krieg, Gewalt und Not. Sie wollen weiter auf das griechische Festland, nach Athen. Ihre Hoffnungen richten sie auf um Europa, Deutschland, England.

Während wir sprechen packen hinter uns zwei Filmteams ihre Gerätschaften aus. Für Bilder und O-Töne aus dem Moria Camp scheint es einen Markt auf TV-Kanälen, Filmfestivals zu geben – aber was haben sie bisher bewegt?

Lager-Gangs

Hasan hat Zahnschmerzen und bisher keinen Termin in Mytilini bekommen. Wie viele andere bräuchte er dringend eine ärztliche Behandlung. Die Krankenhäuser, die Ärzte können den Ansturm nicht mehr bewältigen. Aspirin-Tabletten, die ich aus meinem Rucksack krame, für Hasan eine kleine Linderung, ein kleines Glück.

Mit der täglich wachsenden Zahl von Flüchtlingen, der Kälte, der fehlenden Gesundheitsversorgung wächst die Not und Verzweiflung. In diesen Wintermonaten sind die Nächte Stunden der Kälte und der Angst. Hasan spricht von afghanischen Gangs, die Streit provozieren, Diebstähle begehen. Allein in den letzten Wochen hat es drei Tote gegeben. Ich verlasse das Lager mit Bildern und Begegnungen, die mich verstören.

Am Tag nach unserer Begegnung schickt mir Hasan ein Handyvideo. Es sind Live-Aufnahmen von einer morgendlichen Demonstration. Wieder hat es in der vergangen Nacht einen Todesfall gegeben. Ein Sudanese wurde, wie Hasan sagt, im Streit vermutlich von einer afghanischen Gang erstochen. Wieder Proteste, Sprechchöre, Versammlungen der Verzweiflung entlang des Lagerzaunes. Für eine Öffentlichkeit, die nicht mehr hinsehen will oder schon gar nicht mehr existiert.

Zwei Tage später wird in Mytilini eine Kundgebung stattfinden. Anlass ist ein Selbstmord im Lagergefängnis Anfang Januar. Auf Plakaten klagen die Veranstalter an, dass ungefähr 100 Flüchtlinge im Camp inhaftiert sind, ohne erkennbaren Grund.

Zur Kundgebung am Sapfous-Platz von Mytilini kommen am Abend vor allem die Mitglieder von NGOs, einige Flüchtlinge schließen sich an. Auf Englisch, Arabisch, Französisch, Griechisch wird aus dem Lager berichtet, von Gewalt, Willkür und Hoffnungslosigkeit. Anschließend zieht eine kleine Schar Demonstranten durch die Gassen Mytilini‘s, vorbei an Menschen, die ihren Einkäufen nachgehen. Die Parolen der Demonstranten verhallen unbeachtet, ungehört. Es genügen einige Polizisten, um den Verkehr für eine Stunde umzulenken.

Moria und die Dorfbewohner

Ein zweites Mal besuche ich das Lager. Meinen Weg beginne ich diesmal im benachbarten Dorf Moria, das vielleicht 3.000 Einwohner zählt. In den Imbissstuben, kleinen Restaurants wärmen sich Helfer auf, Journalisten, Fernsehleute und Fotografen, die hier täglich unterwegs sind.

Vom Dorfplatz zum Moria-Camp gegenüber führt eine kleine Straße, auf der täglich Hunderte unterwegs sind in Richtung Mytilini, ein fast zweistündiger Fußmarsch. Auf ihren Rücken, auf Kinderwägen, Schubkarren tragen sie Strandgut, Styroporteile, Plastikplanen, Holz, – das Bild erinnert an die Rastlosigkeit von Ameisen, die in endlosen Schlangen ihre Last nach „Hause“ schleppen.

Am Rande des Dorfes komme ich an einem sichtlich wohlhabenden Haus vorbei. Der Besitzer steht davor, ein Gespräch bahnt sich an, der Sohn übersetzt ins Englische. Es geht um Angst vor Einbrüchen, Diebstahl, Gewalt. Wir werden unterbrochen von einem vorbeiziehenden iranischen Flüchtling, der auf seinem Kinderwagen Holzpaletten aufgeladen hat. Er bittet um warme Kleidung für seine Kinder. Ein paar Wollhandschuhe, die ich in meinem Rucksack finde, eine kleine Hilfe gegen den kalten Wind.

Als ich weitergehe, kommt mir ein junges afghanisches Paar entgegen, aus ihren Gesichtern spricht Verzweiflung. Sie sind neu hier, haben sich auf ihrer Flucht kennengelernt und geheiratet. Mit einer kleinen „Hochzeitsgabe“ gelingt es mir, ein Lächeln in ihre Gesichter zu tragen, vielleicht ein Stück Hoffnung zu wecken.

Auf meinem Weg zum Moria-Camp, hält ein Auto neben mir. Es ist der Hausbesitzer von vorhin. Er bitte mich einzusteigen, mitzukommen. Ich solle seine Olivengärten sehen, möge mir anschauen, was aus ihnen geworden ist.

Er fährt langsam und zeigt mir Baumstümpfe, Lagerstätten von Neuankömmlingen, Flüchtlingsgruppen in seinen Olivengärten. Hinter einigen Planen sehe ich Kindermannschaften, die Fußball spielen. Überall Müll, Feuerstellen – er wirkt verzweifelt und traurig, überfordert. Ich kann ihn verstehen. Auch ihn hat Europa alleine gelassen.

Den Rest des Weges zum Lager will ich alleine fortsetzen. Die Olivengärten links und rechts der Straße sind abgeschirmt mit hohen Zäunen, mit Sichtplanen verhängt. Angesichts der nicht abreißenden Flüchtlingsströme, nur ein vorrübergehender Schutz.

Der Hafen von Mytilini

Hier legen die großen Fährschiffe an. Eine Gruppe von Jugendlichen, es sind vor allem afghanische, allein Lebende, manche erst 14 Jahre alt, ziehen auf dem Parkplatz vor der ankernden Fähre umher, sitzen an den Ecken.

Ohne Scheu erzählen Sie mir, dass sie wegwollen von der Insel, die sie ein Gefängnis nennen. Ihre Hoffnungen knüpfen sie an Lkw-Fahrer, die sie in ihrer Ladung oder unter dem Fahrwerk verstecken, um auf das Schiff zukommen. Hoffnungen, die hier täglich geträumt werden und nur selten in Erfüllung gehen.

Am späten Nachmittag gegen 17 Uhr kommt Bewegung auf. Die Jungs ziehen in ein nahegelegenes Wäldchen unterhalb der Festung von Mytilini. Sie nehmen mich mit und wollen mir etwas zeigen. An die 100 sind gekommen. Sie kauern an einem Wegrand unter den Pinien und warten bis sie an der Reihe sind. NGO-Mitarbeiter verteilen hier täglich eine warme Mahlzeit.

Nach dem hastig heruntergeschlungenen Mal ziehen sie wieder hinunter zum Hafen. Sie tauschen Nachrichten aus, suchen nach Möglichkeiten an den Kontrolleuren vorbei auf die Fähre nach Athen zu gelangen, die hier um 19 Uhr ablegt. Fast wie ein Ritual, das sich alle Tage wiederholt.

Als ich einige Tage später zur Fähre gehe, die mich nach Athen bringen wird, begegne ich ihnen wieder und erkenne sie. Dort der englischsprechende Junge aus Kabul, und dann wieder der kleine 14-Jährige, in der kurzen Hose, frierend, der blaue Plastiktrinkbecher an seinem Hosengurt baumelnd.

Was soll geschehen?

Doch diese Alltagsroutine ist explosiv. Fast 25.000 Flüchtlinge leben inzwischen auf Lesbos, zusammen mit den Inseln Samos, Chios oder Kos sollen es 40.000 sein. Eine Entwicklung ohne Perspektive, die den Alltag der Inselbewohner überfordert. Sie fühlen sich im Stich gelassen, von Europa, von der griechischen Zentralregierung. Mit Demonstrationen in den letzten Januartagen haben sie das laut zur Sprache gebracht. Ihre Parole: Wir wollen unser altes Leben wieder zurückhaben. Die Politik unter dem neuen griechischen Premier Mitsotakis wird die Not der Menschen populistisch zu nutzen versuchen. Er spricht von Auflösung der Lager und dem Transport der Flüchtlinge auf das Festland. Doch das Wie und Wann bleibt nebulös.

Inzwischen setzt sich die Flucht fort, wie mir eine Sozialpädagogin aus Stuttgart erzählte. Sie ist seit Oktober hier und hält Nachwache am Meeresufer. Denn wenn das Meer ruhig wird, kommen wieder jede Woche Hunderte aus der Türkei. Unter ihnen Flüchtlinge, die vor den Bomben Assads und Putins, vor dem Krieg in Nordsyrien fliehen. Oder es kommen diejenigen, die eine Abschiebung aus der Türkei nach Syrien befürchten. Der Tod bei der Überfahrt im Meer oder das Elend in den griechischen Flüchtlingslagern schreckt sie nicht – denn es ist wenigstens eine Hoffnung.

Trotz der Bilder und Berichte, die uns in den letzten Tagen vermehrt erreichen, zeichnet sich keine Lösung ab. In den Metropolen und Hauptstädten Europas zeigen wir uns moralisch betroffen aber bringen nicht die Kraft und Mittel auf, dieses Elend zu beenden. Wie lange noch?

UN-Menschenrechtsausschuss stärkt Rechte von Klimaflüchtlingen

Amnesty International spricht von einem wegweisenden Urteil: In einem
aufsehenerregenden Asylverfahren hat ein UN-Menschenrechtsgremium jetzt
entschieden, dass Regierungen bei der Entscheidung über eine Abschiebung
zukünftig auch von der Klimakrise verursachte Menschenrechtsverletzungen
berücksichtigen müssen.
Vorausgegangen war die Beschwerde eines Mannes aus dem pazifischen
Inselstaat Kiribati, der vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist. Ioane
Teitiota reichte im Februar 2016 vor dem UN-Menschenrechtsausschuss
Klage gegen die neuseeländische Regierung ein, nachdem er 2010 in
Neuseeland einen Asylantrag als „Klimaflüchtling“ gestellt hatte, der
jedoch von den dortigen Behörden abgelehnt wurde. Ioane Teitiota wurde
im September 2015 aus Neuseeland in sein Herkunftsland Kiribati
abgeschoben. Anfang Januar 2020 traf der UN-Menschenrechtsausschuss eine
Entscheidung in dem Fall.
„Dieses Urteil schafft einen weltweiten Präzedenzfall“, sagte Kate
Schuetze, Expertin für die Pazifik-Region bei Amnesty International. „Es
besagt, dass ein Staat gegen seine menschenrechtlichen Verpflichtungen
verstößt, wenn er jemanden in ein Land abschiebt, wo das Leben der
betroffenen Person – aufgrund der Klimakrise – in Gefahr ist oder ihr
eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
drohen.“
Ioane Teitiota argumentierte, dass er in seinem Herkunftsland aufgrund
der Klimakrise mit Landkonflikten zu kämpfen und nur eingeschränkten
Zugang zu Trinkwasser habe. Durch den steigenden Meeresspiegel gehe die
Fläche für Ackerbau zurück und das Trinkwasser sei durch Salzwasser
kontaminiert. Deswegen hätte er mit seiner Familie nach Neuseeland
fliehen müssen, wo er nach Ablauf seines Visums 2010 einen Asylantrag
stellte.
Dieser wurde vom neuseeländischen Immigrations- und Schutzgericht
(Immigration and Protection Tribunal), dem Berufungsgericht und dem
Obersten Gerichtshof abgelehnt. Daraufhin brachte Ioane Teitiota seinen
Fall vor den UN-Menschenrechtsausschuss. Er gab an, dass Neuseeland mit
seiner Abschiebung nach Kiribati sein Recht auf Leben nach dem
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verletzt habe.
Zwar befand der Menschenrechtsausschuss jetzt, dass Ioane Teitiotas
Abschiebung rechtens war, da sein Leben in Kiribati nicht unmittelbar
bedroht sei. Doch er erkannte an, dass die Klimakrise das Recht auf
Leben ernsthaft bedroht. Entscheidungsträger_innen müssten dies bei der
Prüfung von Asylanträgen zukünftig berücksichtigen.
Das Urteil hat Signalwirkung und könnte in der Zukunft den Weg für
weitere Ansprüche von Menschen ebnen, wenn „die Auswirkungen des
Klimawandels die Rechte von Personen in den Aufnahmestaaten verletzen
könnten“.
„Die Botschaft ist klar: Die Pazifischen Inseln müssen nicht erst
untergegangen sein, bevor die menschenrechtlichen Verpflichtungen zum
Schutz des Lebens greifen“, sagte Schuetze.
Alle Staaten haben die menschenrechtliche Verpflichtung, die Bevölkerung
vor den schädlichen Auswirkungen der Klimakrise zu schützen. Der UN-
Menschenrechtsausschuss überwacht die Einhaltung des Internationalen
Pakts über bürgerliche und politische Rechte durch die 173 Länder, die
ihn unterzeichnet haben. Von den Vertragsstaaten erkennen 116 das Recht
Einzelner an, gegen eventuelle Verstöße Beschwerde einzulegen, darunter
Neuseeland und Deutschland. Sie sind verpflichtet, sich an die Vorgaben
des Ausschusses zu halten.

Ungarische Regierung verletzt mit NGO-Gesetz Menschenrechte Amnesty-Statement zum Gutachten des EuGH

BERLIN, 14.01.2020 – Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof ist der Ansicht, dass das ungarische Gesetz zur Einschränkung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen gegen EU-Recht verstößt und Grundrechte unrechtmäßig einschränkt. Das geht aus den heute vorgelegten Schlussanträgen des Generalanwalts  hervor. Dazu erklärt Janine Uhlmannsiek, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland:

„Das Gesetz verfolgt allein das Ziel, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in Ungarn zu behindern und zu diskreditieren. Kritische Stimmen sollen eingeschüchtert werden. Die ungarische Regierung verletzt mit dem Gesetz die Grundwerte der Europäischen Union und ignoriert grundlegende Freiheits- und Vereinigungsrechte. Seit Jahren schafft die Regierung in Budapest ein zunehmend feindseliges Klima für Menschenrechtsarbeit. Die EU-Mitgliedstaaten, darunter auch die deutsche Bundesregierung, müssen jetzt an der Seite der Zivilgesellschaft in Ungarn stehen und die ungarische Regierung zur Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen auffordern. Dieses repressive Gesetz muss zurückgenommen oder entsprechend menschenrechtlicher Standards abgeändert werden.“

Hintergrund:
Die ungarische Regierung versucht, kritische Stimmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Land massiv einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. NGOs, darunter auch die ungarische Amnesty-Sektion, sind immer wieder Schikanen und Diffamierungen durch Regierungsvertreter und regierungsnahe Medien ausgesetzt. Zudem wurden mehrere NGO-Gesetze verabschiedet, die zivilgesellschaftliches Engagement behindern und kriminalisieren.

Im Juni 2017 trat ein NGO-Gesetz nach russischem Vorbild in Kraft, das Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, verstärkt unter Kontrolle stellt und stigmatisiert. NGOs, die jährlich mehr als 24.000 Euro aus dem Ausland erhalten, müssen sich als „auslandsfinanzierte zivilgesellschaftliche Organisation“ registrieren lassen und diese Bezeichnung in sämtlichen Veröffentlichungen angeben. Diese Bezeichnung dient nur dem Zweck, das Ansehen der betroffenen NGO zu beschädigen, indem der Eindruck erweckt wird, sie werde aus dem Ausland gesteuert. Organisationen, die gegen diese Auflagen verstoßen, drohen hohe Strafzahlungen sowie letztendlich ein Arbeitsverbot. Das Gesetz verletzt grundlegende Freiheits- und Vereinigungsrechte der Menschen in Ungarn. Die ungarische Amnesty-Sektion widersetzt sich dem Gesetz und hat gemeinsam mit anderen NGOs dagegen geklagt. Die EU-Kommission hat wegen des Gesetzes den Europäischen Gerichtshof angerufen und Klage gegen Ungarn eingereicht. Heute hat der Generalanwalt in diesem Verfahren seine Schlussanträge vorgelegt. Darin stellt er dar, dass das NGO-Gesetz gegen EU-Recht verstößt und Grundwerte, darunter das Recht auf Versammlungsfreiheit, unrechtmäßig einschränkt.